15.03.2017

„Luther hätte von der Aufklärung nichts gehalten“

Bischof Bünker im Gespräch mit der Philosophin Isolde Charim im Wien Museum

Ein differenziertes Luther-Bild zeichnete Bischof Michael Bünker bei einem Gesprächsabend im Wien Museum. Im Bild die Wartburg, auf der Luther das neue Testament übersetzte. Foto: epd/Uschmann

Bischof Bünker im Gespräch mit der Philosophin Isolde Charim im Wien Museum

Wien (epdÖ) – „Martin Luther ist uns in vielen Punkten fremd und als Person nicht leicht zugängig“, erklärte Bischof Michael Bünker am 9. März im Wien Museum. Im Rahmen der Ausstellung „Brennen für den Glauben. Wien nach Luther“ wurde er von der Autorin und Philosophin Isolde Charim über den Wittenberger Reformator interviewt.

Auf der einen Seite gebe es bleibende Verdienste des Reformators: „Luther war ein Sprachgenie. Er hat die deutsche Sprache geprägt. Seine schriftstellerische Tätigkeit war ein Medienereignis.“ Darüber hinaus sei Bildung für Luther ein großes, zentrales Anliegen gewesen. So forderte er unter anderem, dass alle Kinder die Schule besuchen sollten, unabhängig von Stand und Geschlecht, sagte der Bischof. Luther habe aber auch Entwicklungen hervorgerufen, die ihm vermutlich gar nicht bewusst gewesen seien. „Mit seiner Überzeugung, dass durch die Taufe alle Christinnen und Christen gleich sind, hat er einen entscheidenden Schritt gesetzt in der Zulassung der Frauen für alle Ämter in den Evangelischen Kirchen heute.“ Außerdem habe er einen Impuls gesetzt in Richtung Trennung von Politik und Religion und damit indirekt auch für die Demokratie.

Auf der anderen Seite erinnerte Bischof Bünker im Gespräch mit Isolde Charim auch an die Schattenseiten des Reformators, etwa das Verhältnis Luthers zu den Juden. „Luther kann man als Protoantisemiten bezeichnen.“ Bünker betonte auch, dass die Unterscheidung zwischen dem jungen und dem alten Luther bezüglich der Einstellung zum Judentum heute überholt sei. So sei auch der junge Luther davon ausgegangen, dass er die Thora besser verstehe als die Rabbiner. „Luther hat den damals vorhandenen Antijudaismus aufgegriffen, aber auch noch um einiges übertroffen“, meinte Bünker. Insofern sei es wichtig und richtig gewesen, dass die Generalsynode der Evangelischen Kirchen 1998 in einer Erklärung Luthers Antijudaismus offiziell verworfen hat. „Damit ist die Geschichte aber für uns Evangelische nicht aufgearbeitet in dem Sinne ‚Die Vergangenheit ist erledigt‘. Das ist eine bleibende Herausforderung für die Kirche“, so der Bischof.

Bezüglich Luthers Einstellung zu den Themen Frauen, Familie und Sexualität zeige sich, dass Luther „zu fünfzig Prozent ein mittelalterlicher Mensch“ war, sagte Bünker. Dabei habe er jedoch in der Sexualität nichts genuin Sündiges gesehen, wie dies etwa bei Augustin der Fall war. Auch seine Ehe mit Katharina von Bora soll gut gewesen sein, glaubt man dem Briefwechsel des Ehepaars. Aber Luthers Bild von der Gesellschaft sei nicht modern, sondern zutiefst traditionell gewesen. Luthers Verortung im Mittelalter zeige sich darüber hinaus etwa im Glauben an die Existenz des Teufels und von Hexen. Und auch wenn sich manche Impulse Luthers in der Aufklärung positiv ausgewirkt hätten, etwa der kritische – und damit der wissenschaftliche – Umgang mit der Heiligen Schrift, steht für Bünker fest: „Luther hätte von der Aufklärung nichts gehalten“.

Angesprochen auf das Thema Protestantismus und Lebensfreude erklärte Bünker: „Hätte sich Köln damals für die Reformation entschieden, gebe es heute keinen Kölner Karneval. Ob das ein Verlust wäre, will ich nicht beurteilen. Ungetrübte Lebensfreude ist dem Protestantismus jedenfalls nicht in die Wiege gelegt“, so der Bischof. „Ich habe noch nie einen Bischof erlebt, der derart kritisch mit seinem Religionsgründer umgeht. Vielleicht ist das ja Protestantismus“, resümierte Isolde Charim.

ISSN 2222-2464

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