02.03.2005

Lacina: Soziale Frage neu stellen

Podiumsdiskussion des „Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ zum Thema „Gott – Geld – Globalisierung“

Podiumsdiskussion des „Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ zum Thema „Gott – Geld – Globalisierung“

Wien (epd Ö) – Der frühere Finanzminister Ferdinand Lacina sieht mit der Globalisierung der Kapitalmärkte und -ströme zugleich eine neue „soziale Frage“ aufscheinen: „Was ist mit unserer Gesellschaft passiert, dass wir auf der einen Seite meinen, immer reicher zu werden, dass wir jedoch auf der anderen Seite zugleich immer stärker die sozialen Leistungen in Frage stellen oder kürzen?“ Der Grund für diese Entwicklung liege nicht allein im Zusammenbruch des Sozialismus, sondern vielmehr in der Folgeerscheinung der ungebremsten kapitalistischen Produktionssteigerung, die den „global reach immer mehr zur Realität werden lässt“, d.h. die ständige und globale Verfügbarkeit und Erreichbarkeit. Mit Diakoniedirektor Michael Chalupka und dem Präsidenten der jüdischen Menschenrechtsorganisation B’nei B’rith, Victor Wagner, diskutierte Lacina am Donnerstag, 24. Februar, in der Wiener Zwi-Perez-Chajes-Loge über das Thema „Gott –Geld – Globalisierung“. Eingeladen hatte der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Korrekturen, so Lacina, könnten aufgrund der Größenordnung der Herausforderung „nur durch den Staat auf der Basis einer gesellschaftlichen Solidarität vorgenommen werden“. Der Begriff des „Humankapitals“ sei zwar – zu Recht – im letzten Jahr zum „Unwort“ gekürt worden, er beschreibe dennoch weiterhin das Wichtigste und Wertvollste, das es durch alle Rationalisierungszwänge hindurch zu verteidigen gelte. Auf die konkrete Situation in Österreich heruntergebrochen bedeute dies z.B., dass auch weiterhin am Umlageverfahren der Pensionen festgehalten werden müsse, da dies ein zentraler „Anker der Solidarität“ in Form konkreten Rechtes sei, so Lacina.

Vier Euro am Tag für EDV-Spezialisten

Michael Chalupka, der wenige Tage zuvor von einer Indienreise zurückgekehrt war, wundert es nicht, dass zahlreiche europäische Firmen nach Indien drängen, um dort von hochqualifizierten Mitarbeitern zu profitieren, die umgerechnet rund vier Euro am Tag verdienen. Eine weitere Beobachtung, die auf ein massives Ungleichgewicht hinweise, lasse sich in unserem unmittelbaren Umfeld machen, führte Chalupka weiter aus. Allein in Österreich sei die Masse der in „akuter Armut“ lebenden Menschen auf mittlerweile 360 000 gestiegen. Die biblische Botschaft der Thora wie des Neuen Testaments enthalte jedoch die zentrale Aussage einer „gerechten Verteilung der Gaben Gottes unter den Menschen“. Hierzu zähle neben den materiellen Gütern ebenso die Fähigkeit der gesellschaftlichen Partizipation und der „Teilhabe an Welt“, – Fähigkeiten, die unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kaum ausgebildet werden können. Hier sollten jedoch aus dem gemeinsamen biblischen Erbe heraus Christen und Juden immer wieder „eingreifen, sich einmischen und aktiv werden“.

In einem kurzen Abriss beleuchtete Victor Wagner die Geschichte der stereotypen Zuordnung von „Jude“ und „Geld“. Die momentan zu beobachtenden, nicht allein auf den Finanzsektor beschränkten Prozesse der Globalisierung seien jedoch „kein jüdisches Phänomen“, so Wagner. Er sehe im Judentum vielmehr das Potential zu einer dem entgegentretenden „humanen Globalisierung“, die nicht von finanziellen Interessen getrieben sei, sondern von der gemeinsamen „messianischen Hoffnung“.

ISSN 2222-2464

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