13.05.2020

Körtner: Religion durch Krise weiter ins Private gedrängt

„Freiheitsrechte dürfen nicht auf Dauer eingeschränkt werden“

Religion galt plötzlich als öffentliches Gesundheitsrisiko, analysiert Ulrich Körtner die Rolle der Religionen in der Coronakrise. Foto: pixnio

„Freiheitsrechte dürfen nicht auf Dauer eingeschränkt werden“

Wien (epdÖ) – Die Coronakrise habe die Religion noch weiter ins Private gedrängt, konstatiert der Wiener evangelische Theologe und Medizinethiker Ulrich Körtner. Während es in früheren Krisen undenkbar gewesen wäre, dass Vertreter der Religionen nicht zu Wort kommen, hätte heute die Mehrheit etwa akzeptiert, dass „Kirche plötzlich nur noch am Bildschirm“ stattfand, sagte Körtner in einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“ (Freitag, 8. Mai). Religionsausübung – etwa in Gottesdiensten – habe plötzlich als öffentliches Gesundheitsrisiko gegolten. Dass der Tod in der Krise eine „statistische Größe“ geblieben sei, die es zu minimieren galt, habe sehr viel darüber ausgesagt, „wie säkular die Sicht auf das Leben ist“.

„Moderne Einsamkeit der Sterbenden“ erreicht ihren Höhepunkt

Die „moderne Einsamkeit der Sterbenden“ habe in der Coronakrise einen Höhepunkt erreicht, beobachtet Körtner. So sei auch Seelsorgern der Besuch von Sterbenden verweigert worden, Begräbnisse durften nur im kleinsten Kreis stattfinden: „Sterben fand im Grunde im Verborgenen statt. Das wurde hingenommen.“ Der gesellschaftliche Umgang mit dem Tod sei dabei eine „hochpolitische Frage“. In einer freiheitlichen Gesellschaft entstehe ein Zielkonflikt zwischen der Einsicht, dass der Tod unvermeidlich zum Leben gehört, und dem Bestreben, den Tod nach Möglichkeit zu verhindern. Zu einem funktionierenden Rechts- und Sozialstaat gehöre nämlich ein funktionierendes Gesundheitssystem; das aber drohte in der Krise zu kippen, weshalb Eingriffe in Freiheitsrechte vorgenommen wurden. „In der akuten Gefahrenlage war es zulässig, die Freiheitsrechte einzuschränken, doch das darf nicht auf Dauer geschehen“, so Körtner. Es widerspreche einer freiheitlichen Gesellschaft, Menschen in bevormundender Weise vor sich selbst schützen zu wollen, zumal es ein Recht auf selbstschädigendes Verhalten – wie zum Beispiel durch Rauchen oder Alkohol – gebe.

Körtner kritisiert zudem, dass Bürgerinnen und Bürger nicht hinterfragt hätten, wie sich die oft zitierten Expertenstäbe der Regierung zusammensetzten. Für die Zukunft wünsche er sich daher, „dass der Diskurs über Weichenstellungen nicht von wenigen Experten, sondern wieder öffentlich und transparent geführt werden wird“.

Das vollständige Interview finden Sie unter: www.derstandard.at

ISSN 2222-2464

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Körtner | Coronavirus

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