16.06.2004

Körtner: Materiales Religionsrecht wichtiger

Vertreter der fünf großen Religionen diskutierten über den Gottesbezug in der EU-Verfassung

Vertreter der fünf großen Religionen diskutierten über den Gottesbezug in der EU-Verfassung

Wien, 16. Juni 2004 (epd Ö) „Die Frage eines Gottesbezuges in der europäischen Verfassung hat nicht die konstitutive Bedeutung, die sie von kirchlicher Seite zum Teil zugemessen bekommt, wichtiger ist das materiale Religionsrecht in der europäischen Verfassung,“ sagte Ulrich Körtner, Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Europäische Verfassung mit oder ohne Gott?“ am 9. Juni in Wien. Mit Körtner diskutierten als VertreterInnen der einzelnen Religionen Bertram Stubenrauch, Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Prof. Eveline Goodman-Thau, Rabbinerin, Carla Amina Baghajati, Mediensprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Prof. Dr. Peter Riedl, Präsident der Buddhistischen Religionsgemeinschaft in Österreich und Dr. Bimal Kundu, Vorsitzender der Hindu-Gemeinschaft in Österreich.

In seinem Diskussionsbeitrag betonte Körtner, es sei für die evangelische Christenheit „eine ganz große Herausforderung, dass man sich auf die europäische politische Realität einlässt, gesamteuropäisch zu denken und zu organisieren.“ Für den Professor liegen „die jetzt vorstehenden Aufgaben“ nicht „im Bereich der Präambel. Vielmehr sollten die Kirchen mit dazu beitragen, „dass es hier zu einer Lösung kommt“. Körtner vermutet den Hintergrund der kirchlichen Diskussionen um den Gottesbezug in der EU-Verfassung in einem Defizitgefühl des Christentums: „Ich glaube, es ist ein großes Problem aus Sicht des Christentums, dass das Christentum in unseren Breitengraden zutiefst seiner selbst unsicher geworden ist, während andere in wenigen elementaren Sätzen“ Auskunft über ihren Glauben geben können. Den Gottesbezug erneut zu diskutieren macht für Körtner „nicht viel Sinn“. Die jetzt wichtige Frage ist für ihn vielmehr, „wie wird die europäische Union mit Leben gefüllt, wie können die Kirchen dazu beitragen?“

Als „die zwei großen Fundamente“ Europas nannte Stubenrauch „die christliche Tradition, die zum Teil die islamische Tradition aufgenommen hat, und eine von der Religion emanzipierte Traditionsgemeinschaft“. Er sprach sich für einen Gottesbezug aus: „Ein Gottesbezug in der Präambel ist notwendig, der nicht exklusiv gemeint ist.“ Zudem sollte die europäische Verfassung „den Geist der nationalen Verfassungen spiegeln“, die zu einem großen Teil Gott erwähnen. Goodman-Thau erklärte: „Halten wir Gott aus der Debatte raus, und schauen wir erst mal, wie wir miteinander umgehen.“ Ein einheitliches Europa in Verschiedenheit schaffen zu wollen, empfinde sie als „paradox“. Die Rabbinerin plädierte dafür, „wir sollten das tun, was uns die Bibel lehrt – ein partikularer Universalismus. Möge Gott uns helfen, ein wirklich vereintes Europa zu stiften“.

Die bisherige Diskussion um einen Gottesbezug in der EU-Verfassung beschrieb Baghajati als „sehr emotional“. Der muslimischen Bevölkerung sei aufgefallen, dass in der Diskussion die Forderung aufgetauchte, „hier einen christlichen Gott zu beschreiben“, wodurch „Bereiche der Muslime unter den Tisch gefallen“ seien. Erneut sei durch die Diskussion „Polemik gegen den Islam entstanden und es seien alte Feindbilder aufgefrischt“ worden. Nach Meinung Baghajatis wäre es „sinnvoller“ gewesen, „weniger einen Gottesbezug zu formulieren, sondern besser ein sozialverträgliches, verantwortliches Miteinander“ in Europa zu thematisieren.

Kundu erinnerte an wesentliche Inhalte des hinduistischen Glaubens und betonte, „wir akzeptieren das Prinzip der Einheit in der Vielfalt und können deshalb die Gottesvorstellungen anderer annehmen“. Für einen Gottesbezug in der Verfassung forderte er, „alles zu vermeiden, was trennt“. Dass ein monotheistischer Gottesbegriff „nur in heillose Auseinandersetzungen führen“ kann, erklärte Riedl. „Nur ein holistischer Ansatz kann zum Frieden führen“, meinte der Professor und verwies darauf, dass Buddhisten sich „in einer Verfassung, in der auf Gott Bezug genommen wird, nicht wieder finden werden“.

Als Veranstalter zeichneten die Plattform für interreligiöse Begegnung (PFIRB), die Evangelischen Akademie Wien und die Wiener Vorlesungen verantwortlich. Moderiert wurde die Diskussion vom Leiter der Evangelischen Akademie Wien, Pfr. Mag. Roland Ritter-Werneck.

ISSN 2222-2464

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