25.01.2006

Körtner: Es gibt keinen „Megatrend Spiritualität“

Aufgabe kirchlicher Verkündigung ist es, „Geister zu unterscheiden“

Aufgabe kirchlicher Verkündigung ist es, „Geister zu unterscheiden“

Wien, 25. Jänner 2006 (epd Ö) – Gegen die Behauptung eines „Megatrends Spiritualität“ in der modernen Gesellschaft hat sich der Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Dr. Ulrich H. J. Körtner, gewandt. In einem Gespräch mit epd Ö erklärte der Theologe, der vor kurzem ein Buch mit dem Titel „Wiederkehr der Religion? Das Christentum zwischen neuer Spiritualität und Gottvergessenheit“ veröffentlicht hat: „So ein Megatrend lässt sich nur behaupten, wenn man mit einem sehr weiten, um nicht zu sagen diffusen Begriff von Spiritualität arbeitet.“ Ursprünglich sei mit dem Wort christliche Frömmigkeit gemeint. Körtner beobachtet dagegen bei zahlreichen Menschen einen „Gewohnheitsatheismus“, eine „Form der praktischen Gottesverleugnung, mit der die Menschen scheinbar ganz gut leben können“. Das müsse man von Seiten der Kirchen ernst nehmen. Körtner: „Ich finde es problematisch, wenn z.B. die Römisch-katholische Kirche in Österreich Mitglieder verliert und sagt, geringere Austrittszahlen seien schon eine Trendumkehr. In Wirklichkeit muss man sagen, die Austritte sind weiterhin dramatisch hoch.“

Körtner warnt in dem Interview davor, sich von den „modischen Trends, die zum Teil auch erfunden werden“, blenden zu lassen. Der Auftrag der Kirche sei es, die Botschaft des Evangeliums zu verkündigen. Der Systematiker erinnert in diesem Zusammenhang an Dietrich Bonhoeffer, der die These vom „religionslosen Zeitalter“ vertreten hat, und erklärt: „Dem einen, der auf der Suche nach Spiritualität ist, versuche ich, ihm gemäß zu begegnen, dem, der sagt, damit kann ich nichts anfangen, dem versuche ich in seiner Welt zu begegnen.“

Für „Alphabetisierung“ des Christentums

Es sei, so der Theologieprofessor, die Aufgabe der Verkündigung, „den Menschen nachzugehen, sie zu verstehen, sie ernst zu nehmen, sie nicht zu verurteilen, ihnen zuzuhören, mit ihnen solidarisch zu sein, aber sie doch auch anzuleiten, Geister zu unterscheiden und auch deutlich zu machen, wo sich das Evangelium von anderen Formen von Religion unterscheidet.“ Dabei werde es Konflikte geben und für die Kirche die Notwendigkeit, das Profil ihrer Verkündigung zu schärfen. Körtner fordert „eine Art von Alphabetisierung“ des Christentums: „Wir sollten uns überlegen: Wie können wir in ein paar Sätzen sagen, was christlich ist?“

ISSN 2222-2464

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