21.09.2001

Körtner: Dialog statt Dämoniserung

Gegen kollektive Schuldzuweisung - Kein Kampf der Kulturen - Militanter Fundamentalismus auch im Christentum

Gegen kollektive Schuldzuweisung – Kein Kampf der Kulturen – Militanter Fundamentalismus auch im Christentum

Wien, 20. September 2001 (epd Ö) „Die Massaker in New York und in Washington sind Verbrechen gegen die Menschheit, nicht etwa nur gegen die Menschlichkeit. Nichts wäre jedoch verkehrter und politisch verhängnisvoller, als diese Verbrechen dem Islam anzulasten und möglicherweise zum Gegenangriff eines ´wehrhaften Christentums´, von dem auch hierzulande manche schwadronieren, aufzurufen.“ Das schreibt der reformierte Theologe Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner in einem Beitrag für den Wissenschaftskanal von ORF-ON.

Ebenso verkehrt wäre es, in den Terroranschlägen den Auftakt zum Kampf der Kulturen, den der Politikwissenschaftler Samuel Huntington prophezeit hat, oder gar zu einem Krieg der Religionen zu sehen. Die Realität eines militanten Islam lasse sich „einfach nicht bestreiten“, konstatiert der Vorstand des Instituts für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät Wien und weist darauf hin, dass auch die Geschichte des Christentums über weite Strecken ein „Mischmasch aus Irrtum und Gewalt“ (Goethe) war. Auch das „wahre Christentum“ sei nicht immer mit seinen empirischen Erscheinungsweisen identisch, auch hier gebe es militanten Fundamentalismus.

Zweideutigkeit aller Religion

Religion könne segensreich wirken, aber auch zur Quelle von Fanatismus und Verderben werden, so Körtner, der auch dem Wiener Institut für Ethik und Recht vorsteht. Gegen die Thesen des katholischen Theologen Hans Küng sind für Körtner die Terroranschläge in New York ein Indiz, dass Religionen „keineswegs in jedem Fall der Schlüssel zum Weltfrieden oder die Basis für ein Weltethos“ seien.

Körtner: „Groß ist die Versuchung für eine Religion, die übrigen Religionen zu dämonisieren und sie zu bekämpfen, statt den Dialog zu suchen.“ Angesichts des unsäglichen Leidens hätten die Religionsgemeinschaften allen Grund, zur Besinnung, zur Mäßigung und auch zur Demut aufzurufen. Auch die Theologie und die Religionswissenschaft seien gefordert, ihren Beitrag zur Deeskalation und zur Überwindung von Vorurteilen zu leisten.

Körtner plädiert für eine „realistischere“ Bewertung der Rolle der Religionen in der Friedensarbeit. Dabei dürfe nicht übersehen werden, dass „die Religionen in Geschichte und Gegenwart keineswegs nur die Initiatoren, sondern immer auch der Anlass für Befriedungsprozesse gewesen sind“. Der Friede zwischen den konkurrierenden Religionen sei immer auch ein wichtiges Ziel politischer Bemühungen und rechtsstaatlicher Gesetzgebung.

ISSN 2222-2464

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