19.01.2015

Kirchliche Aufarbeitung des Antijudaismus muss weitergehen

Nausner: "Mit jedem Vergessen sterben die Gefolterten und Verbrannten ein zweites Mal"

Einmal im Jahr - am Tag des Judentums - besinnen sich die christlichen Kirchen auf ihre jüdischen Wurzeln mit einem Gottesdienst. Im Bild (von li nach re): Pfarrerin Susanne Clasani und Bischof John Okoro (Altkatholische Kirche), Landessuperintendent Thomas Hennefeld (Evangelische Kirche H.B.), der derzeitige ÖRKÖ-Vorsitzende Superintendent Lothar Pöll (Evangelisch-methodistische Kirche), der Vizepräsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit und frühere evangelisch-methodistische Superintendent Helmut Nausner sowie Bischofsvikar Nicolae Dura (Rumänisch-orthodoxe Kirche) Foto: epdÖ/Schönwälder

Nausner: „Mit jedem Vergessen sterben die Gefolterten und Verbrannten ein zweites Mal“

Wien (epdÖ) – Mit einem ökumenischen Gottesdienst in der altkatholischen Heilandskirche in Wien gedachten die christlichen Kirchen am „Tag des Judentums“, dem 17. Jänner, ihrer jüdischen Wurzeln und bekannten sich zu ihrer Schuld, die sie in der Geschichte durch die Verfolgung von Juden auf sich genommen hatten.

Zu dem Gottesdienst eingeladen hatte der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ). Der ÖRKÖ hatte den „17. Jänner – Tag des Judentums“ als Gedenktag im Jahr 2000 eingeführt. Am Gottesdienst teilgenommen haben der derzeitige ÖRKÖ-Vorsitzende und methodistische Superintendent Lothar Pöll, der rumänisch-orthodoxe Bischofsvikar Nicolae Dura, der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld, der Bischof der Altkatholischen Kirche in Österreich John Okoro sowie die Pfarrerin der Gemeinde Sabine Clasani. Die Predigt hielt der Vizepräsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit und frühere methodistische Superintendent Helmut Nausner.

Nausner schilderte in seiner Predigt, wie die Verachtung der Juden bis zum Judenhass im Lauf der Zeit bestimmende Haltung in allen Schichten der Gesellschaft wurde. In diesem Zusammenhang erinnerte er an die Wiener Provinzialsynode von 1267 mit ihren gegen die normalen menschlichen und nachbarlichen Beziehungen zwischen Juden und Christen gerichteten Bestimmungen und an die schreckliche Judenverfolgung der „Wiener Gesera“ von 1420 mit ihren Hunderten von Toten. Die überkommene Verachtung der Juden habe es dann den Nationalsozialisten mit ihrem Programm leicht gemacht. Nausner zitierte die Feststellung der jüdischen Philosophin Hannah Arendt nach der NS-Machtergreifung 1938, dass unter den Intellektuellen die ziemlich freiwillige Gleichschaltung die Regel war.

Nur konkrete Beispiele könnten etwas vom Schrecken und der gnadenlosen Unmenschlichkeit erahnen lassen, die in der Zeit der Naziherrschaft vor allem in den besetzten Gebieten in Osteuropa herrschten, unterstrich der emeritierte Superintendent. Nausner nannte einige neu aufgetauchte Fakten und verwies u.a. auf den für Litauen zuständigen SS-Standartenführer Karl Jäger (1888-1959), einen Musiker und Orgelbauer, der zwischen Ende Juni und Ende November 1941 insgesamt 137.346 jüdische Menschen töten ließ. Er meldete seinen Vorgesetzten detailliert mit Datum und Ortsangabe die Zahlen der ermordeten Männer, Frauen und Kinder und prahlte, dass Litauen „nun judenfrei“ sei.

Nausner betonte, dass die Kirchen in der Aufarbeitung ihrer antijudaistischen Vergangenheit noch lange nicht am Ende seien. „Es reicht nicht aus, hin und wieder die Worte Holocaust oder Schoah in den Mund zu nehmen“, vielmehr müsse man auf konkrete Beispiele verweisen, damit die Verbrechen der Vergangenheit nicht vergessen werden. „Mit jedem Vergessen sterben die Opfer ein zweites Mal“, sagte Nausner. Nach dem Krieg sei im Rahmen der Nürnberger Prozesse zwar ein Teil der leitenden Verantwortlichen verurteilt worden, trotzdem hätten tausende „Mittäter“ und „Befehlsvollstrecker“ ohne jegliche Konsequenzen in ein normales Leben zurückkehren können. Diese unaufgeklärten Taten seien noch immer „ein dunkler Schatten über unser aller Leben“.

Die Kirchen hätten aber auch aus ihren Fehlern der Vergangenheit gelernt. In diesem Zusammenhang verwies Nausner auf das Dokument „Nostra Aetate“, das eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitung der antijüdischen Vergangenheit der katholischen Kirche gespielt habe. „Nostra Aetate“ wurde vor genau 50 Jahren auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) verabschiedet. Die katholische Kirche definierte damit ihre Beziehung zu den anderen Religionen neu. Sie anerkannte Wahres und Heiliges in den anderen Religionen und bestätigte die bleibende Erwählung des Judentums, in dem das Christentum wurzelt. Dies markierte eine Abkehr von einem antijüdisch definierten Absolutheitsanspruch.

Die Initiative zum „Tag des Judentums“ geht auf die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung 1997 in Graz zurück. Auch in Italien, Polen und den Niederlanden wird der Tag des Judentums begangen. Das Datum für diesen Tag ist bewusst gewählt: Den Geist dieses Tages sollen die Kirchen in die anschließende weltweite „Gebetswoche für die Einheit der Christen“ (18. bis 25. Jänner) weitertragen. Denn bei allen Trennungen der Christenheit untereinander sei allen Kirchen gemeinsam, dass sie im Judentum verwurzelt sind, so die Veranstalter.

ISSN 2222-2464

Diesen Beitrag teilen

Schlagworte

Pöll | Ökumene | Judentum | Hennefeld

Newsletter abonnieren

Der Newsletter von evang.at mit den wichtigsten Nachrichten des Evangelischen Pressedienstes (epd) ist kostenlos und erscheint in der Regel einmal pro Woche am Mittwoch.