18.01.2011

Kirchen kritisieren Schubhaftbedingungen

Bünker: Schubhaft bleibt "Österreichs größte menschenrechtliche Wunde" - Ökumenische Fachtagung in Wien

Bünker: Schubhaft bleibt „Österreichs größte menschenrechtliche Wunde“ – Ökumenische Fachtagung in Wien

Wien (epd Ö) – Kirchenvertreter haben am Dienstag, 18. Jänner, die Schubhaftbedingungen in Österreich kritisiert. Laut dem evangelisch-lutherischen Bischof Michael Bünker ist dies „Österreichs größte menschenrechtliche Wunde“, wie er bei einer Pressekonferenz zu Beginn einer ökumenischen Fachtagung zur Seelsorge in der Schubhaft sagte. Gefordert werden von den Kirchenvertretern kostenloser Rechtsbeistand sowie der Verzicht auf die Inhaftierung von Kranken, Traumatisierten, Schwangeren und Minderjährigen.

Laut Bünker gibt es weder eine ausreichende gerichtliche Kontrolle über die Rechtmäßigkeit der Anhaltungen noch einen Zugang zu kostenloser Rechtsberatung. Dazu seien die Haftbedingungen nach wie vor viel schlechter als in der Strafhaft und auch die medizinische Versorgung unzureichend. Bünker berichtete, dass zudem weitere Verschärfungen für Schubhäftlinge im Raum stünden: So solle die bereits von sechs auf zehn Monate verlängerte Höchst-Schubhaftdauer auf 18 Monate angehoben werden. Die obligatorische gerichtliche Überprüfung der Schubhaft wäre nunmehr zwar nach vier Monaten statt nach bisher sechs Monaten vorgesehen, aber diese Regelung sei „immer noch kilometerweit von jener entfernt, die für Untersuchungshäftlinge selbstverständlich“ sei. Bünker kritisierte, dass in Österreich mit dem „höchsten menschenrechtlichen Schutzgut neben dem Recht auf Leben – der persönlichen Freiheit – „sehr fahrlässig umgegangen“ werde, sobald es sich um Fremde handle.

Der katholische Innsbrucker Diözesanbischof Manfred Scheuer erinnerte daran, dass die Gefangenenseelsorge im Konkordat genau geregelt sei. Die darin enthaltene Bestimmung gewährleiste der Römisch-katholischen Kirche den freien und ungehinderten Zutritt zu Gefangenen, worunter alle Häftlinge, also auch Schubhäftlinge, zu verstehen seien. Noch deutlicher sei dieses Recht für die evangelische Kirche im Protestantengesetz verankert. Auch die Unterbringung außerhalb von Strafanstalten ändere nichts daran, dass für Seelsorger der Zutritt zu Schubhäftlingen gewährleistet sein müsse.

Appell für gelindere Mittel und Alternativen

Bereits im April des Vorjahres hätten die evangelische und katholische Kirche in Wien bei einer Enquete zur Seelsorge in der Schubhaft beklagt, „dass die Haftstandards in der Schubhaft viel schlechter als die in der Strafhaft sind“, erinnerte Bünker. Verbessert habe sich bisher wenig. Nach langem Drängen der Kirchen habe ein Gespräch mit dem Innenministerium über den Zugang zu Schubhaftanstalten für die Seelsorge stattgefunden: Ein konkreter Rahmenvertrag bzw. eine gerichtlich abgesicherte Regelung, wie sie mit der Justiz existiere, sei dabei nicht erzielt worden.

Schubhäftlinge in Österreich seien nach wie vor in schlecht geeigneten Haftanstalten, den polizeilichen Anhaltezentren, untergebracht. Die Sozialbetreuung in Schubhaft ist bereits mit August 2008 abgeschafft worden. Die Schubhäftlinge werden durch die Polizei bewacht. “Ausgebildetes Wachpersonal wie in der Justiz existiert hier nicht“, sagte Bünker. Durch den „Rauswurf“ der karitativen NGOs aus der Schubhaftbetreuung sei ebenso der Zugang zu kostenloser Rechtsberatung gefallen: „Ersucht ein Schubhäftling darum, wird diese Anfrage in der Regel leider nicht weitergeleitet.“

„Mit gelinderen Mitteln allerbeste Erfahrungen gemacht“

„Menschen auf der Flucht sind vielfach schwer traumatisiert“, hob Bischof Scheuer hervor. Sie stünden „vor den Trümmern ihrer Vergangenheit und oft auch vor denen ihrer Zukunft“. Gerade Menschen, die in Österreich Schutz suchen, dürften nicht kriminalisiert werden; es müssten für alle Menschen die gleichen Gesetze und die Unschuldsvermutung gelten: „Seitens der Kirchen fordern wir daher, die Haftbedingungen für die Betroffenen zu verbessern, da in Österreich zurzeit Menschen, die hier Schutz suchen, schlechter behandelt werden als Straftäter“, so der Innsbrucker Bischof.

„Ich appelliere an die Bundesregierung, wo immer es geht, die so genannten gelinderen Mittel anzuwenden und Alternativen zur Schubhaft zu suchen“, forderte Scheuer. So könnten Asylwerber etwa in einer Pension untergebracht werden mit der Auflage, sich einmal wöchentlich bei der Fremdenbehörde zu melden und sich kooperativ zu zeigen. Die kirchlichen Hilfsorganisationen hätten „allerbeste Erfahrungen“ mit den gelinderen Mitteln gemacht.

Unser Ziel ist, dass in jedem Polizeianhaltezentrum mindestens ein Seelsorger tätig ist“, betonte der Bischof. Dazu brauche es einen Vertrag, in dem die Bedingungen für die Schubhaftseelsorge klar definiert seien und eine Grundfinanzierung: „Die Kirche ist bereit, hier ihren Teil zu tun. Es muss aber auch der Staat hier seine Verantwortung wahrnehmen“, mahnte Scheuer ein.

Keine „Polizistenschelte“

Generell sei eine Verbesserung nur durch eine Veränderung der gesetzlichen Lage möglich: Es gehe nicht um eine „Polizistenschelte“, vielmehr brauche es auch die „Verantwortung jener Parteien, die im österreichischen Parlament die Gesetze beschließen, und diese Verantwortung vermisse ich bisher“, erklärte Bischof Bünker, der als Grundlinie der heimischen Politik eine „zunehmende Verschärfung in diesem Bereich“ befürchtet.

Scheuer wies in diesem Zusammenhang auch auf das von Caritas, Diakonie, SOS-Kinderdorf und Amnesty International initiierte Netzwerk „Gegen Unrecht: Kinder gehören nicht ins Gefängnis“ und die breite Zustimmung aus der Bevölkerung dafür hin.

Martin Stark, Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland, forderte die dringende Umsetzung europaweiter Mindeststandards, wie sie etwa in der so genannten EU-Rückführungsrichtlinie angesprochen sind. Mängel gebe es z.B. hinsichtlich der getrennten Unterbringung von Schubhäftlingen und Strafgefangenen oder im Blick auf besondere Vorkehrungen für schutzbedürftige Personen wie psychisch Kranke, Minderjährige, Schwangere und Alleinerziehende.

Der evangelische Berliner Pfarrer Bernhard Fricke, einer der Initiatoren der Fachtagung, unterstrich die Bedeutung des grenzüberschreitenden Austausches über die Thematik. Inhalt seien auch neue gesetzliche und europarechtliche Regelungen und die Formulierung gemeinsamer Forderungen, die an die Kirchen ebenso wie an die Politik ergingen. Wien ist der vierte Schauplatz einer derartigen Tagung nach Berlin 2008, Hamburg 2009 und Mainz 2010.

ISSN 2222-2464

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