09.07.2008

Jugendwertestudie: „Ich glaube an Gott, bin aber nicht religiös“

Österreichische Jugendwertestudie: Aufmerksamkeit für Religion steigt deutlich an - 69 Prozent glauben an Gott, aber dieser Glaube ist für viele im Alltagsleben nicht relevant

Österreichische Jugendwertestudie: Aufmerksamkeit für Religion steigt deutlich an – 69 Prozent glauben an Gott, aber dieser Glaube ist für viele im Alltagsleben nicht relevant

Wien (epd Ö) – Unter den Jugendlichen steigt die Aufmerksamkeit für Religion deutlich an, gleichzeitig spielt Religiosität als gelebte Praxis im Alltag eine immer geringere Rolle für junge Menschen. Das zeigen die Ergebnisse der dritten österreichischen Jugendwertestudie, die am Dienstag in Wien präsentiert wurde. Die Befragungen für die Jugendwertestudie wurden im Sommer 2006 durchgeführt.

Für 11 Prozent der österreichischen Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren ist der Lebensbereich „Religion“ sehr wichtig. Verglichen mit der zweiten Wertestudie im Jahr 2000 bedeutet das einen Anstieg um 50 Prozent. Der Lebensraum „Religion“ hat damit „Politik“ in der Rangordnung von Lebensräumen überholt, die für Jugendliche „sehr wichtig“ sind. Insgesamt befinden sich Religion und Politik aber am Ende der Skala. Am wichtigsten sind für Jugendliche jene Bereiche, in denen sich ihr konkretes Leben abspielt, also Familie, Beziehungen, Schule und Arbeit.

Die Gründe für die Bedeutungszunahme des Lebensbereiches Religion sieht Regina Pollak – die Leiterin des Instituts für praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien ist eine der AutorInnen der aktuellen Jugendwertestudie – zum einen in der gestiegenen öffentlichen Präsenz des Themas „Religion“. Andererseits spielt Religion für den Alltag vieler junger Menschen bereits eine so geringe Rolle, dass sie wieder interessant werde.

„Die religiösen und ethischen Vorstellungen befinden sich in einem umfassenden Transformationsprozess“, betonte Pollak bei der Präsentation der Studie. Nur knapp ein Drittel der Jugendlichen gab bei den Befragungen an, sich selbst als „religiös“ zu verstehen. Gleichzeitig sagten aber 69 Prozent der Jugendlichen, dass sie an Gott glauben. Diese Schere, die man mit dem Satz „Ich glaube an Gott, bin aber nicht religiös“ verdeutlichen kann, zeigt für die Autorinnen und Autoren der Wertestudie den Erosionsprozess einer traditionell kirchlich gebundenen Religiosität und den Wandel des Gottesbildes sowie eine subjektive Religiosität, die „vielfältig, brüchig und widersprüchlich“ ist.

„Gott hängt in der Luft“

„Man könnte sagen: Gott hängt in der Luft“, brachte Regina Pollak ihre Analyse auf den Punkt. Die Verwandlung von Religiosität in eine Weltanschauung mit einem abstrahierten, lebensirrelevanten Gottesbild verweist laut Studie auf die „Praxiskrise“ der Kirchen. Verdeutlicht wird das durch den Umstand, dass mehr als zwei Drittel der Jugendlichen bezweifeln, dass Gott für ihren Lebensalltag relevant ist.

Für Regina Pollak sind die Ergebnisse auch eine deutliche Anfrage an die Kirche: „Wo sind die Orte gelebter Religion?“, so Pollak. Man müsse sich wieder daran erinnern, dass Religion zuerst eine Praxis ist und nicht eine Wertvorstellung. Die Theologin widersprach auch der oft gehörten Meinung, dass Jugendliche in ihren moralischen Entscheidungen beliebig seien. Jugendliche seien „Verhandlungsethiker“, die in konkreten Situationen mit anderen Menschen darüber verhandeln, was „gut“ und was „böse“ sei. Die Entscheidung darüber träfen sie aber nicht beliebig, sondern seien bemüht, objektive Kriterien dafür zu finden, so Pollak. Hier wünschen sich die jungen Menschen laut Studie mehr Unterstützung von der Gesellschaft. 57 Prozent der Jugendlichen wollen beispielsweise mehr Unterricht zum Thema „Ethik“, fast zwei Drittel vermissen eine stärkere, öffentlich geführte Diskussion darüber, was „gut“ und was „böse“ ist. Nötig scheint deshalb eine strukturierte öffentliche Wertedebatte, um festzustellen, was der Gesellschaft in jeder Hinsicht „wertvoll“ ist. „Da braucht es nicht nur Appelle von Politikern und religiösen Autoritäten an individuelle Moralvorstellungen, sondern einen strukturierten Wertorientierungsprozess“, meinte Regina Pollak.

1.200 Jugendliche befragt

Die österreichische Wertestudie 2006 ist die dritte Welle einer wissenschaftlichen Untersuchung, die seit 1990 die Lebenseinstellungen junger Menschen in Österreich darstellt. Die Studie, die unter dem Titel „Lieben – Leisten – Hoffen. Die Wertewelt junger Menschen in Österreich“ im Czernin Verlag erschienen ist, wurde in einer Kooperation zwischen dem Österreichischen Institut für Jugendforschung (ÖIJ) und dem Institut für Praktische Theologie der Universität Wien erstellt. Im Sommer 2006 wurden mehr als 1.200 Jugendliche im Alter von 14 bis 24 in wissenschaftlichen Interviews befragt. Hauptautorinnen und -autoren der Studie sind der frühere Präsident der Katholischen Aktion und nunmehrige Bereichsleiter für Gesellschaftspolitik in der Industriellenvereinigung, Prof. Christian Friesl, die Pastoraltheologin Regina Pollak und die Soziologin Julia Uhlik vom Institut für Praktische Theologie der Universität Wien sowie Ingrid Kromer und Katharina Hatwagner vom ÖIJ.

ISSN 2222-2464

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