08.06.2005

Islamexperte Tibi: Islam braucht Entpolitisierung

Göttinger Politikwissenschaftler übt bei Vortrag in Wien scharfe Kritik an fundamentalistischen Entwicklungen – Veranstaltungszyklus der Evangelischen Akademie und des Katholischen Akademikerverbandes zur Frage „Religiöser Fundamentalismus als weltlicher Machtanspruch?“

Göttinger Politikwissenschaftler übt bei Vortrag in Wien scharfe Kritik an fundamentalistischen Entwicklungen – Veranstaltungszyklus der Evangelischen Akademie und des Katholischen Akademikerverbandes zur Frage „Religiöser Fundamentalismus als weltlicher Machtanspruch?“

Wien, 8. Juni 2005 (epd Ö) – Scharfe Kritik an fundamentalistischen Entwicklungen im Islam hat der Göttinger Politikwissenschaftler Bassam Tibi geübt. Bei einem Vortrag in Wien im Rahmen des Veranstaltungszyklus „Politik mit Gott – Religiöser Fundamentalismus als weltlicher Machtanspruch?“ wies Tibi darauf hin, dass die gegenwärtige Tendenz im Islam, alle Lebensbereiche bestimmen zu wollen, nicht unbedingt islamtypisch sei. Der Islamwissenschaftler verwies auf Entwicklungen im Islam vom 9. bis 12. Jahrhundert: „Lange bevor das Christentum mit der Aufklärung konfrontiert wurde, entstand damals unter Gelehrten ein islamischer Rationalismus, der die Sphäre des Glaubens von der Sphäre der Vernunft strikt trennte“. Diesen Rationalismus müsse der Islam wieder entdecken, so Tibi, der aus Damaskus stammt. Das sei der einzige Schutz vor dem Islamismus, einer religiös begründeten Politik.

Laut Tibi habe der Islamismus nichts Spirituelles an sich, sondern verfolge nur das Ziel der Errichtung eines Gottesstaates mit der Einführung der „Sharia“ als Grundlage der Gesetzgebung. Die Idee des „Gottesstaates“ sei auch keine alte islamische Tradition; sie sei erst im 20. Jahrhundert aufgekommen, erstmals bei den Muslim-Bruderschaften in Ägypten. Den Islamismus gebe es nicht nur in seiner kriegerischen Form – etwa im Terrorismus –, sondern auch als friedliche Variante, so Tibi. Demokratie werde hier nur als Mittel zu eigenen Herrschaftszwecken akzeptiert, wie dies laut Tibi am Beispiel der türkischen islamischen Regierungspartei AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) zu sehen sei. Deshalb spreche er sich für eine konsequente „Sicherheitspolitik“ gegenüber dem Islamismus aus, so Tibi, der sich zugleich überzeugt zeigte, „dass Muslime heute von Christen die Trennung von Politik und Öffentlichkeit einerseits und Glaube als privater Angelegenheit andererseits“ zu lernen hätten.

Die Veranstaltungsreihe „Politik mit Gott – Religiöser Fundamentalismus als weltlicher Machtanspruch?“ ist eine gemeinsame Initiative der Evangelischen Akademie Wien und des Katholischen Akademikerverbandes der Erzdiözese Wien.

Demokratie und Religion

Bei der Auftaktveranstaltung der Vortragsreihe hatte der Innsbrucker Politikwissenschaftler Anton Pelinka darauf hingewiesen, dass Demokratie und Religion nur dann kompatibel seien, wenn beide ihre eigenen Sphären akzeptieren würden, auch wenn diese Sphären nicht mit letzter Konsequenz zu trennen seien. Religion sei immer auch ein Faktor der politischen Mobilisierung, wie ein Blick auf die USA beweise.

Von religiösem Fundamentalismus müsse man dann sprechen, wenn alle anderen Bestimmungsfaktoren dem Faktor Religion untergeordnet werden. Der religiöse Fundamentalismus, so Pelinka, sei daher tendenziell intolerant und nicht mit der Demokratie kompatibel, da die Demokratie einen gewissen Relativismus brauche.

ISSN 2222-2464

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