29.05.2002

Individualität und Freiheit kein Privileg

Gespräch der Kirchen mit dem Grünen Parlamentsklub zum Sozialwort

Gespräch der Kirchen mit dem Grünen Parlamentsklub zum Sozialwort

Wien, 29. Mai 2002 (epd Ö) Ein positives Resümee zogen Vertreter der 14 Kirchen und des Grünen Parlamentklubs über ihre Begegnung am Mittwoch, 29. Mai, im Parlament. Für die Kirchen sei es wichtig, ihre Visionen und Forderungen im Dialog mit den Parteien zu prüfen“, sagte der evangelisch-lutherische Bischof, Mag. Herwig Sturm, vor Journalisten. Konkret gehe es den Kirchen um die Verpflichtung, „allen Mitgliedern unserer Gesellschaft den Zugang zur Mitgestaltung ihrer Lebenswelt zu ermöglichen“. Im Mittelpunkt des Gesprächs im Grünen Parlamentsklub stand die Arbeit am Sozialwort der Kirchen.

Beeindruckt von den vielen gemeinsamen Fragestellungen im Bereich Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zeigte sich die Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), Oberin Christine Gleixner. Zugleich sei sie sich jedoch bewusst, dass sich Kirchen und Parteien in ihren Zugängen und Umsetzungsmöglichkeiten sowie im Tempo der Durchführung.

Als „außergewöhnlich“ bezeichnete der Klubchef der Grünen, Prof. Dr. Alexander van der Bellen, die Tatsache, dass die 14 Kirchen mit einer Stimme zu sozialen Fragen Stellung nehmen: „14 Parteien hätten das nicht zustande gebracht.“ Van der Bellen unterstrich die Notwendigkeit des kirchlichen Engagements in der Sozialpolitik. Durch die zahlreichen kirchlichen Initiativen könnten so Erfahrungen vor Ort in die Politik eingebracht werden. Die Kirchen sieht der grüne Klubchef als Lobby für Arme, Diskriminierte, für „Leute die keine Gewerkschaft haben“.

Starkes Wort zu einem starken Sozialstaat

Die „kritische Grundhaltung“ der Kirchen und ihren Mut zur Selbstreflexion würdigte der grüne Sozialsprecher, Karl Öllinger. Gemeinsamkeiten zwischen den Kirchen und den Grünen sieht Öllinger etwa in den Forderungen nach einem Mindestlohn, nach einer Grundsicherung als notwendige Ergänzung sozialer Instrumente oder nach Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut. Er sei froh, dass die Kirchen den Parteien „ein starkes Wort zu einem starken Sozialstaat“ abverlangen. Gegenüber Parteien, die auf Stimmenmaximierung aus sind, hätten Kirchen „den längeren Atem“, so der Sozialsprecher. Wesentliche Gemeinsamkeiten ortet Öllinger jenseits der Tagespolitik in der Frage nach der Teilhabe an gesellschaftlichen Möglichkeiten, etwa in den Bereichen Bildung und Demokratie.

Ähnliche Gesprächsrunden haben bereits mit der ÖVP und der SPÖ stattgefunden. Mit der FPÖ ist eine solche Begegnung bisher nicht zustande gekommen, trotz „gleicher Einladung“ an alle Parlamentsparteien, so Gleixner.

Die kirchlichen Initiativen sehen sich durch ihr konkretes, solidarisches, oft von Ehrenamtlichen getragenes Handeln legitimiert, gesellschaftliche Solidarität einzufordern. Nächstenliebe und gesellschaftliche Solidarität können nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das erklärte der evangelisch-lutherische Bischof, Mag. Herwig Sturm, in seinem Statement vor dem Grünen Parlamentsklub. Der Sozialstaat sei Voraussetzung dafür, „dass die Werte von Individualität und Freiheit nicht nur ein Privileg für die Einkommensstarken und Vermögenden sind.“ Sturm: „Der Sozialstaat macht Gesellschaften reich und nicht arm. Eine gute Sozialquote korrespondiert nicht mit wirtschaftlicher Rückständigkeit, sondern im Gegenteil: mit hoher Prosperität.“

Die Kirchen, so Sturm weiter, treten ein für den gesetzlichen Schutz vor Armut und fordern „Rechte vor Almosen“. Beklagt wird die mangelnde Rechtssicherheit. Gerade bei den Schwächsten sei darauf zu achten, „dass grundlegende Rechte gewahrt werden“. „Die Einhaltung der Menschenrechte darf sich nicht am Budget orientieren“, warnte der Bischof.

ISSN 2222-2464

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