06.05.2020

In Nachbars Garten

Julia Schnizlein über Zusammenhalt statt Neid

"Schon immer war das Gras auf der anderen Seite grüner. In Krisenzeiten scheint es sogar noch grüner." Foto: pixabay

Julia Schnizlein über Zusammenhalt statt Neid

„Wie gut hat‘s doch der Nachbar! Muss sich als Pensionist nicht um seine berufliche Zukunft sorgen und die Kinder sind aus dem Homeschooling-Alter längst heraus. Wenn ihm die Decke auf den Kopf fällt, geht er spazieren oder einkaufen und hat alle Zeit der Welt, um sämtliche Tatort-Folgen der letzten Jahre nachzusehen“, denkt die Mutter zweier Kinder, während sie selbst im Berg von Anforderung und Überforderung unterzugehen scheint. Ihr Mann arbeitet schon seit Beginn der Krise weiter. Sein Beruf als Krankenpfleger ist systemrelevant.

Wie schön muss es sein, nicht allein zu sein. Kinder zu haben, die einem täglich das Gefühl geben, gebraucht zu werden. Wie schön muss es sein, einen Garten zu haben, gemeinsam zu essen und zu spielen. Einmal wieder umarmt zu werden. Wie schön muss es sein, einen Beruf zu haben, mit dem man etwas bewirken kann. Sich nicht überflüssig zu fühlen, während man allein auf den Bildschirm starrt und die Aufklärung der Film-Morde die einzige Abwechslung im Leben zu sein scheint“, denkt der Nachbar.

Schon immer war das Gras auf der anderen Seite grüner. In Krisenzeiten scheint es sogar noch grüner. Vermutlich hat man einfach mehr Zeit, in Nachbars Garten zu starren. Viele haben das Gefühl, im Vergleich mit anderen ungerecht behandelt zu werden. Schlechter dran zu sein, als andere.

Und viele dieser Gefühle sind nachvollziehbar. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es denjenigen geht, die noch immer um ihren Job oder ihr Unternehmen bangen und nicht wissen, wie es finanziell weitergehen soll. Oder jenen Familien, die wochenlang häuslicher Gewalt oder sozialer Vernachlässigung ausgesetzt waren. Oder jenen, die sich von lieben Menschen nicht ordentlich verabschieden konnten.

Wichtig ist es, all diese Menschen, die keine Lobby haben, nicht aus dem Blick zu verlieren. Solidarisch zusammenzuhalten und die anderen mitzubedenken, statt uns im eigenen Gedankenkarussell nur um uns selbst zu drehen und neidvoll in Nachbars Garten zu starren. In der Krise beweist sich der Charakter, heißt es. Lasst uns als Gesellschaft gemeinsam Charakter beweisen und so an Leib UND Seele gesund bleiben!

Folgen Sie Julia Schnizlein auch auf Instagram: @juliandthechurch

ISSN 2222-2464

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