16.06.2021

Im Licht der Vergebung

Maria Katharina Moser über geteilte Liebe, die nicht weniger wird

"Gottes Liebe wird nicht weniger, wenn die Tür der Vergebung aufgeht und das Licht der Liebe auf die Sünder fällt." Foto: pixabay

Maria Katharina Moser über geteilte Liebe, die nicht weniger wird

Manchmal sind es einfache, alltägliche Beobachtungen, die uns eine tiefe Wahrheit vermitteln. Der Superintendent der Evangelischen Kirche in der Steiermark, Wolfgang Rehner, hat kürzlich in einer Predigt von einer solchen Beobachtung erzählt. Als Kind war er fasziniert von der Dunkelheit, die nachts im Kinderzimmer herrschte. Noch mehr faszinierte ihn der Lichtstrahl, der ins Zimmer fiel, wenn die Türe zum Vorzimmer einen Spalt geöffnet wurde.

Eines Abends bat er seine Schwester, ins Vorzimmer zu gehen, die Türe hinter sich zu schließen, damit es ganz dunkel wäre im Kinderzimmer, und dann die Türe langsam zu öffnen, damit er beobachten könne, wie es heller wird. Dann bat er die Schwester, das Ganze noch einmal zu wiederholen. Sie solle beobachten, ob das Licht im Vorzimmer weniger würde, wenn es ins Kinderzimmer fällt. Das tat die Schwester und erstattete Bericht: Nein, es war nicht dunkler geworden im Vorzimmer. Eine einfache 60-Watt-Glühbirne erhellt das Vorzimmer und auch noch das Kinderzimmer, wenn die Tür geöffnet wird – und das Licht im Vorzimmer wird nicht weniger. Ein schönes Bild für die Liebe und die Vergebung, die Gott schenkt.

Der Gedanke, dass Gott den Sündern vergibt, wird von manch einem als Affront empfunden: „Ich bemühe mich, Gutes zu tun – und am Ende liebt Gott den, der Schlechtes getan hat, genauso? Das ist doch nicht gerecht!?“ höre ich immer wieder. Unser Bedürfnis nach Lohn und Strafe ist groß. Wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn im Lukas-Evangelium: Ein Sohn nimmt sein Erbe, geht weg und verprasst alles. Der Hunger treibt ihn schließlich zurück in seines Vaters Haus. Und der Vater? Der erhebt nicht den Zeigefinger, sondern umarmt den Sohn und richtet ein Fest für ihn aus. Das erzürnt den älteren Bruder, der zu Hause geblieben war und am väterlichen Hof hart gearbeitet hatte. Er fühlt sich ungerecht behandelt: „Nie hast du für mich ein Kalb geschlachtet, aber für ihn …“ „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein“, antwortet der Vater.

Das Bild vom Licht, das ins dunkle Kinderzimmer fällt, ohne dass es im Vorzimmer weniger hell würde, kann uns helfen, wenn es uns geht wie dem älteren Sohn. Es sagt uns: Wenn Gott anderen Vergebung schenkt, wird mir nichts weggenommen. Gottes Liebe wird nicht weniger, wenn die Tür der Vergebung aufgeht und das Licht der Liebe auf die Sünder fällt.

ISSN 2222-2464

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