26.03.2015

Hopmann: „Kultivierung wichtiger als Qualifizierung“

Bildungsexperte übt scharfe Kritik an PISA und Zentralisierung

Scharfe Kritik übt Hopmann auch an dem kompetenzorientierten Unterricht, der sich immer mehr durchsetze. "Auch hier geht es wieder darum, dass Qualifizierung wichtiger wird als Kultivierung." (Foto: epdÖ/S.Janits)

Bildungsexperte übt scharfe Kritik an PISA und Zentralisierung

Wien (epdÖ) – „Reformation, Bildung und Gerechtigkeit“, so lautete der Titel der Vorlesung von Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann (Universität Wien). Im Rahmen der Ringvorlesung anlässlich des Jahres der Bildung 2015 der Evangelischen Kirchen in Österreich sprach Hopmann am 25. März in Wien über die Geschichte der Schule, über moderne Schulentwicklungen sowie über den wichtigen Unterschied zwischen Qualifizierung und Kultivierung.

In der Schule darf es nicht nur um die Vermittlung von Qualifikationen und Kompetenzen gehen, davon zeigt sich Hopmann überzeugt. Es gehe auch um die Kultivierung der Schülerinnen und Schüler, dieser fundamentale Unterschied zwischen Qualifizieren und Kultivieren werde in der aktuellen Schul- und Bildungsdebatte gar nicht berücksichtigt. Daraus resultiere auch der große Abstand zwischen den sozialen Klassen, der trotz aller Maßnahmen der vergangenen Jahrzehnte nicht kleiner, sondern vielmehr größer geworden sei. Eine Tendenz, an der aus Sicht Hopmanns auch eine Gesamtschule nicht automatisch etwas ändern würde.

„Wir haben eine Bildungskatastrophe“, so der Bildungswissenschaftler. „Wir betreiben Schule als kognitive Besserungsanstalt. Aber das klappt nicht. So funktioniert Schule nicht, das haben auch die PISA-Tests gezeigt.“ Auch wenn Hopmann kein grundsätzlicher Gegner von Tests und Standardisierungen ist, lehnt er die internationalen Schulleistungsuntersuchungen im Rahmen der PISA-Studien ab, unter anderem weil ihnen die Aussagekraft fehle, was dazu führe, dass falsche Schwerpunkte in der Bildungs- und Schulpolitik gesetzt würden.

Scharfe Kritik übt Hopmann auch an dem kompetenzorientierten Unterricht, der sich immer mehr durchsetze. „Auch hier geht es wieder darum, dass Qualifizierung wichtiger wird als Kultivierung“, sagte Hopmann – eine Entwicklung, die er negativ beurteilt. „Diese Entwicklung ist auch deswegen so problematisch, weil Fächer wie Religion oder politische Bildung, bei denen es vorrangig um die Kultivierung des Menschen geht, bei diesem Spiel mitmachen. Sie haben Angst, sonst von Nutzfächern marginalisiert zu werden. Es gibt im Moment keine Fachdidaktik, die nicht das Spiel mit den Kompetenzen betreibt.“

Problematisch sei, dass hier die Frage nach der Intelligenz der Schülerinnen und Schüler zu einer Frage des Klassenunterschiedes und dieser zementiert werde. Auf Schulebene komme hinzu, dass durch die Kompetenzorientierung der Druck auf Schulen immer mehr zunehme. In Folge würde sich der Unterricht immer mehr auf so genannte Haupt- oder Kernfächer konzentrieren. Angebote wie Bühnenspiel oder auch künstlerische Fächer würden unbedeutender. „Was ist hier passiert? Die Kultivierung steht nicht mehr an erster Stelle. Und genau hier treten dann die Probleme auf. So ist Österreich im Schulbereich Spitzenreiter beim Thema Mobbing.“

Genau dies erkläre auch den Erfolg der konfessionellen Privatschulen, meinte Hopmann. Hier würden Schülerinnen und Schüler nicht grundsätzlich eine bessere Qualifikation erhalten als an staatlichen Schulen, allerdings spiele an den kirchlichen Schulen die Kultivierung eine größere Rolle. Eine Entwicklung, die sich auch international niederschlage: „In Schweden gehen mittlerweile 20 Prozent der Kinder in private Schulen, in den USA gehen nur noch arme Kinder in öffentliche Schulen. Wer kann, rennt weg. Familien, die es sich leisten können, kaufen sich die Kultivierung. Das führt zu einer massiven Fragmentierung des Schulwesens.“ „Wir müssen Schule wieder als Ort des gemeinsamen Guten entdecken“ ist Hopmann überzeugt, der dabei eine Forderung Martin Luthers und der Reformation aufgreift.

Für Hopmann gibt es im Bereich der Bildung drei wichtige Forderungen an die Politik: Es brauche dringend ein „Ende des Wettrüstens“. Die Zentralisierung der Bildung, die Förderung der Kernfächer auf Kosten aller anderen Schulfächer muss beendet werden. Die vorhandenen Ressourcen in der Schule, die etwa von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund eingebracht werden, müssen genutzt werden. „Es geht darum, das Kulturspezifische zu nützen und vielfältige Bildung zuzulassen.“ Hopmann betonte: „Es muss das Primat der Kultivierung wiederhergestellt werden!“

Die Ringvorlesung „Reformation als Herausforderung für die Bildungslandschaft heute“ wird von mehreren Fakultäten der Universität Wien, von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems sowie der Evangelischen Kirche in Österreich veranstaltet. Weitere Informationen zur Ringvorlesung und alle weiteren Termine finden Sie hier.

ISSN 2222-2464

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