13.01.2017

Hennefeld: Gegen Polarisierung und für Randgruppen

Neuer Ökumene-Vorsitzender warnt vor Aushöhlung demokratischer Strukturen

In einem Pressegespräch stellte sich Thomas Hennefeld, der neue Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, den Journalistinnen und Journalisten vor. Foto: epd/Uschmann

Neuer Ökumene-Vorsitzender warnt vor Aushöhlung demokratischer Strukturen

Wien (epdÖ) – Die zunehmende Polarisierung und Entsolidarisierung in der Gesellschaft macht dem neuen Vorsitzenden des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), Landessuperintendent Thomas Hennefeld, große Sorgen. Hier hätten die Kirchen die gemeinsame Aufgabe und Verpflichtung, diesen Tendenzen entgegenzutreten, sagte Hennefeld bei einem Pressegespräch am Freitag, 13. Jänner, in Wien. Die Kirchen müssten sich für Randgruppen und gesellschaftliche „Sündenböcke“ einsetzen und so zu mehr Frieden und Gerechtigkeit beitragen.

In diesem Sinne übte der reformierte Landessuperintendent, der seit Jahresanfang den Vorsitz im ÖRKÖ übernommen hat, auch massive Kritik an der Kopftuchdebatte und sprach wörtlich von einem „fahrlässigen und verantwortungslosen“ Verhalten. Die Debatte bzw. ein Kopftuchverbot würden nur die Stimmung gegen Muslime im Land anheizen und auf der anderen Seite nichts zur Integration beitragen. „Die Solidarität der Kirchen gilt den angefeindeten Muslimen“, betonte  Hennefeld. Es sei ihm ein besonderes Anliegen, dass alle Kirchen und Religionen gleich behandelt werden.

Hennefeld ortet weiters in zahlreichen europäischen Staaten eine zunehmende Aushöhlung demokratischer Strukturen. Hart ging er mit einem Demokratieverständnis ins Gericht, das sich rein an der Herrschaft der Mehrheit orientiert. Explizit Sorgen bereitet ihm die politische Entwicklung in Ländern wie Ungarn oder Polen, aber auch das Erstarken rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa. Der ÖRKÖ-Vorsitzende sprach von einem europaweiten Problem des zunehmenden Nationalismus. Die Kirchen dürften sich auf keinen Fall für nationalistische Tendenzen instrumentalisieren lassen.

Kirchen haben Platz im öffentlichen Raum

Zum Verhältnis von Kirche und Staat stellte der ÖRKÖ-Vorsitzende klar, dass er nichts davon halte, Kirchen und Religionen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen: „Jede Kirche und Religion muss ihren Platz haben und leistet auch ihren wichtigen Beitrag für die Gesellschaft.“ Hennefeld wies in diesem Zusammenhang u.a. auf den Religionsunterricht hin, den er für sehr wichtig und gut hält. Forderungen nach einem „neutralen“ Ethik-Unterricht verfolgt er sehr skeptisch, denn: „Wer bestimmt dann diese vorgeblich neutralen Inhalte?“ Der Landessuperintendent warnte in diesem Zusammenhang etwa vor wirtschaftlichen oder auch nationalistischen, rechtspopulistischen Interessen, die sich hinter so mancher vorgeblichen Neutralität verbergen könnten.

Als weitere wichtige Anliegen der Kirchen nannte Hennefeld u.a. mehr Klimagerechtigkeit und die Beachtung gesellschaftlicher Randgruppen und der Schwachen bei der Erstellung und Verabschiedung von Gesetzen. Weiters gelte es auch, sich für verfolgte und bedrängte Christen in vielen Teilen der Welt einzusetzen. Eine besondere Verantwortung gebe es für die Kirchen auch, sich für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern einzusetzen, zeigte sich Hennefeld überzeugt. Hier versucht sich der ÖRKÖ im Rahmen des Projekts EAPPI zu engagieren. Seit 2010 unterstützt der ÖRKÖ aktiv das „Ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel“ und entsendet Freiwillige, die sich gemeinsam mit Friedensaktivisten aus aller Welt für ein Ende der Gewalt und ein friedliches und gerechtes Zusammenleben vor Ort einsetzen. Hennefeld sprach in diesem Zusammenhang von einem „punktuellen Erfolgsprojekt“ des ÖRKÖ.

„Ökumenischer Fruchtsalat“

Zu seinem Verständnis von Ökumene sagte der ÖRKÖ-Vorsitzende, dass jede Kirche ihre Berechtigung habe und von den anderen in ihrer jeweiligen Lehre und ihrem Selbstverständnis zu respektieren sei. „Wir können das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen aber wir können trotzdem zu einer größeren Einheit kommen“, so Hennefeld. Die einzelnen Kirchen sollte dazu ihre jeweiligen Traditionen und Eigenarten als „Schätze“ in die kirchliche Gemeinschaft einbringen. „Ökumene ist kein kirchlicher Einheitsbrei oder Fruchtmus, sondern vielmehr ein Fruchtsalat, in dem die einzelnen Früchte noch gut sichtbar sind.“ Er wolle sich für ein noch tieferes Verständnis für die jeweils andere Konfessionen einsetzen. Das könne über das Mitfeiern mit anderen Kirchen geschehen, durch gemeinsame Gottesdienste, durch thematische Veranstaltungen oder gemeinsame Aktionen.

Der ÖRKÖ-Vorsitzende verwies darauf, dass auch die lutherische und reformierte Kirche auf europäischer Ebene erst seit den 1970er Jahren in enger Gemeinschaft stünden. Mit der Leuenberger Konkordie 1973 wurde die gegenseitige Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft bei durchaus weiterhin bestehenden Unterschieden Realität. Der damalige Schritt beendete die Kirchenspaltung zwischen den reformierten und den lutherischen Kirchen und stellte Kirchengemeinschaft unter den evangelischen Kirchen lutherischer und reformierter Prägung in Europa her. Heute ist die Leuenberger Konkordie die „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ (GEKE). Dieses Modell könne Vorbild für eine noch tiefere Gemeinschaft unter anderen Kirchen sein, zeigte sich der ÖRKÖ-Vorsitzende überzeugt.

Hennefeld wurde 1966 in Wien geboren, wo er seit 1998 auch als reformierter Pfarrer wirkt. 2007 wählte ihn die Synode zum Landessuperintendenten der Evangelisch-reformierten Kirche in Österreich. Im Juni 2013 wurde er für eine weitere sechsjährige Amtsperiode in seiner Leitungsfunktion bestätigt. Mit 1. Jänner 2017 hat Thomas Hennefeld den Vorsitz im Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) übernommen.

Info: www.oekumene.at

ISSN 2222-2464

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Ökumene | Hennefeld

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