18.01.2021

Hennefeld: Bibel nicht nur durch christliche Brille zu lesen

Online-Gottesdienst des Ökumenischen Rates zum Tag des Judentums

„Ich kann Christus als Sohn Gottes annehmen und trotzdem dem Judentum einen eigenen Weg zusprechen. Das ist kein Widerspruch“, so Hennefeld in seiner Predigt. Foto: epd/Uschmann

Online-Gottesdienst des Ökumenischen Rates zum Tag des Judentums

Wien (epdÖ) – Kritik an einer langen Tradition christlicher Überheblichkeit gegenüber dem Judentum hat der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld geübt. In seiner Predigt im Online-Gottesdienst des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) zum Tag des Judentums am Sonntag, 17. Jänner, sagte Hennefeld: „Juden wurden belehrt von den ersten Kirchenvätern über die Reformatoren bis zu Pfarrern in der Gegenwart. ‚Das Alte ist hinfällig geworden. Es ist alles neu. Weg mit dem Gesetz, hoch lebe das Evangelium von Jesus Christus.‘“ Ganz so drastisch sei das heute nicht mehr. „Es wird nicht so plakativ gesagt, aber irgendwie verschämt kommt der Hinweis auf Jesus mit seinem neuen Bund schon“, sagte Hennefeld mit Verweis auf das Buch Jeremia, in dem der Herr einen neuen Bund „mit dem Haus Israel und dem Haus Juda“ ankündigt.

Hennefeld hingegen plädiert für eine Annäherung an die Rede vom Bund zwischen Gott und den Menschen mit einem Verständnis, „das sich nicht aus dem Gegensatz und dem Kontrast zwischen Altem Testament und Neuem Testament, Altem und Neuem speist“. Und er plädiert dafür, bei der Lektüre biblischer Texte einmal die christliche Brille abzulegen. „Der jüdische Weg ist ein Weg zu Gott. Und wir Christen sollen zur Kenntnis nehmen, dass Juden für ihre Religion Jesus nicht brauchen, auch wenn das manchen schmerzt.“ Es gebe einen jüdischen und einen christlichen Weg, und noch viele weitere, die sich weiter verzweigten. „Ich kann Christus als Sohn Gottes annehmen und trotzdem dem Judentum einen eigenen Weg zusprechen. Das ist kein Widerspruch.“ Denn Gott habe „dem Menschen etwas ins Herz gelegt, das ihn dazu bringt, je eigene Wege zu Gott zu finden“.

Auch wenn es einen neuen Bund gebe, bleibe das Alte bestehen. In der reformierten Tradition laute das erste Gebot, wie es im Buch Exodus stehe: „Ich bin der HERR, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus einem Sklavenhaus. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Die Formulierung erinnere an das Schma Jisrael: „Du sollst Gott mit ganzem Herzen, ganzer Seele lieben.“ Wenn das geschehe, gebe es auch „keine Belehrung mehr von oben herab, von den Besserwissern, von religiösen Fanatikern, die nur ihre Wahrheit gelten lassen. Das ist auch ein neuer Zugang zum christlich-jüdischen Dialog. Nicht belehren und missionieren, sondern voneinander lernen und miteinander auf dem Weg sein in Gemeinschaft.“

Der Gottesdienst fand nicht öffentlich in der anglikanischen Christ Church in Wien-Landstraße statt und wurde auf der Homepage des Tags des Judentums (www.tagdesjudentums.at) live gestreamt. Neben Hennefeld gestalteten den Gottesdienst der anglikanische Bischofsvikar Patrick Curran, der römisch-katholische Wiener Bischofsvikar Dariusz Schutzki, der serbisch-orthodoxe Bischof Andrej Ćilerdžić, und der armenisch-apostolische Bischof Tiran Petrosyan.

ISSN 2222-2464

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