Heilung auf Augenhöhe
Maria Katharina Moser spannt einen Bogen von Petrus zur Ambulanz AmberMed
Maria Katharina Moser spannt einen Bogen von Petrus zur Ambulanz AmberMed
Der Apostel Petrus ist auf dem Weg in den Tempel. Am Tor des Tempels sitzt ein gelähmter Mann, der bettelt. Als er ihn sieht, bleibt Petrus stehen. Petrus blickt den Mann an und sagt: „Sieh uns an!“ Das ist bemerkenswert. Normalweise geht man an Bettlern vorbei, schaut weg, würdigt sie keines Blickes – damals wie heute. Petrus nimmt Blickkontakt auf. Spricht den Mann an. „Silber und Gold habe ich nicht“, sagt Petrus, „was ich aber habe, das gebe ich dir.“ Und Petrus gibt dem Mann seine rechte Hand und richtet ihn auf. Er begegnet dem Bettler auf Augenhöhe. Gemeinsam mit dem Geheilten geht er in den Tempel.
Wenn ich diese Geschichte im Neuen Testament, in der Apostelgeschichte lese, fällt mir AmberMed ein. AmberMed ist eine Ambulanz für Menschen ohne Krankenversicherung, die von der Diakonie, der Hilfsorganisation der evangelischen Kirchen, gemeinsam mit dem Roten Kreuz betrieben wird. AmberMed feiert heuer 20. Geburtstag. Auch AmberMed hat kein Gold und Silber, die Finanzierung ist schwierig, die Ambulanz auf Spenden angewiesen. Aber was AmberMed hat, das gibt AmberMed: die Arbeit von 68 ehrenamtlichen Ärzten und Ärztinnen, die gemeinsam mit ehrenamtlichen Assistent:innen, Dolmetscher:innen und Therapeut:innen Menschen behandeln, die keine Behandlung bekommen würden, weil sie nicht versichert sind.
Ja, es gibt sie in Österreich tatsächlich – Menschen, die nicht krankenversichert sind. Menschen, die einen prekären Job haben und vom Arbeitgeber nicht angemeldet worden sind. Frauen, die nach der Scheidung aus der Mitversicherung mit dem Mann gefallen sind. Selbständige, die sich die Sozialversicherungsbeiträge nicht leisten können. Menschen in psychischen Krisen, die aus dem System fallen, weil sie es nicht schaffen, sich um Formales zu kümmern. Kinder von nicht versicherten Eltern.
Vor 2000 Jahren bedeutete Krankheit Armut und Ausgrenzung. Der Bettler muss vor dem Tempel sitzen. Armut und Ausgrenzung betrifft auch Menschen ohne Krankenversicherung heute. Durch die Behandlung ermöglicht AmberMed Nichtversicherten die Teilhabe an den Möglichkeiten, die die Medizin heute bietet. AmberMed wendet den Blick nicht ab. Die Ärzte und Ärztinnen wenden sich den Patienten und Patientinnen, die sonst übersehen werden, von Angesicht zu Angesicht zu. Auf Augenhöhe.
AmberMed heute und Petrus vor 2000 Jahren zeigen uns: Heilung ist mehr als Behandlung von Krankheiten. Petrus geht gemeinsam mit dem Mann in den Tempel, ins Zentrum des sozialen Lebens. Er kann wieder teilhaben. Zum Gesundwerden gehört dazu gehören.
ISSN 2222-2464