15.04.2021

„Gott helfe mir, Amen!“

Was geschah wirklich vor 500 Jahren am Reichstag zu Worms?

Luthers Weigerung, seine Thesen zu widerrufen, sollte die Weltgeschichte über Jahrhunderte prägen. Foto: pixabay

Was geschah wirklich vor 500 Jahren am Reichstag zu Worms?

Am 18. April 1521 steht der Wittenberger Reformator Martin Luther den zweiten Tag in Folge vor dem Reichstag zu Worms. Er soll vor Kaiser Karl V seine Thesen widerrufen, die ihm erst im Jänner desselben Jahres den Kirchenbann durch Papst Leo X eingebracht hatten. Doch Luther denkt nicht daran: Eine historische Entscheidung, die sich heuer zum 500. Mal jährt. Der Theologe und Historiker Karl-Reinhart Trauner, Militärsuperintendent der Evangelischen Kirche in Österreich, hat die Geschehnisse am Reichstag und ihre Nachwirkungen noch einmal rekapituliert.

„Nicht ein Strichelchen werde ich widerrufen“

Vor 500 Jahren: Martin Luther steht vor Kaiser Karl V. beim Reichstag zu Worms. Die Szene, in der sich Luther trotz massiven Druckes vor Kaiser Karl zu seiner Überzeugung bekennt, ist eine der am meisten dargestellten aus dem Leben des Reformators. Zweifellos entbehrt sie nicht einer fesselnden Dramatik. Von der Bevölkerung umjubelt traf Luther am 16. April 1521 nach einer zweiwöchigen Reise von Wittenberg in Worms ein. Mit dabei waren Luthers Ordensbruder Johann Petzensteiner, sein Kollege Nikolaus von Amsdorf, Petrus Suawe, ein pommerscher Adeliger und Student in Wittenberg, und eventuell der aus Konstanz stammende Student Thomas Blarer. In Erfurt gesellte sich der Jurist Justus Jonas dazu. Reichsherold Kaspar Sturm sorgte mit seinen Männern dafür, dass die kaiserliche Zusage freien Geleits eingehalten wurde.

Schon am Tag darauf, dem 17. April, wurde Luther vor dem Reichstag vernommen. Kaiser wie Kirche erwarteten seinen Widerruf, doch Luther erbat Aufschub. Unmittelbar danach wandte er sich an Johannes Cuspinian, Professor in Wien, der in jener Zeit mit Luthers Reformbestrebungen sympathisierte und mit Luther in Kontakt stand. Dieser schrieb ihm: „Soeben stand ich vor dem Kaiser und seinem Bruder und wurde gefragt, ob ich meine Bücher widerrufen wolle. … Nicht ein Strichelchen werde ich widerrufen, wenn mir Christus gnädig ist …“ Am 18. April hielt Luther seine bekannte Rede vor dem Reichstag und widerrief nicht.

Der Wormser Dom. Nur wenige Meter entfernt wurde Luther im Bischofshof angehört. Foto: pixabay

Viel steht am Spiel

Ein Prachtband über die Geschichte der Reformation vom Beginn des 20. Jahrhunderts von Bernhard Rogge schildert dramatisch das Ereignis: „Luthers Antwort erfolgte in festerem Ton als am Tag zuvor. In unerschrockener Haltung, mit lauter Stimme, aber einfach und schlicht, gab er seine wohlüberlegte Erwiderung. … In der allgemeinen Unruhe, die nun entstand, rief Luther noch die denkwürdigen Worte: ‚Ich kann nicht anders. Hier stehe ich; Gott helfe mir. Amen.‘“ Bis zum Wormser Reichstag war die Geschichte der lutherischen Kirchenreform zwar konfliktreich, aber weitgehend im Rahmen geblieben. Nach den Ablassthesen von 1517 hatte Luther in den reformatorischen Hauptschriften des Jahres 1520 die Grundzüge seiner Reform grundgelegt. Seine Kritik an den Missständen der Kirche führte indes bald zu einer nationalen und volkstümlichen Bewegung. Programmpunkte Luthers waren das allgemeine Priestertum der Gläubigen, das neue Verständnis der Ämter- und Sakramentenlehre, die alleinige Autorität der Heiligen Schrift und die zentrale Bedeutung der Predigt innerhalb des Gottesdienstes. All das macht deutlich, dass es um mehr als nur um eine Reform der Kirche ging.

Der Reichstag zu Worms war der erste Reichstag, an dem Kaiser Karl teilnahm; erst 1519 war er zum Kaiser gewählt worden. Karl wollte sich als Kaiser präsentieren, nicht zuletzt angesichts der außenpolitischen Konkurrenz mit Frankreich, aber auch gegenüber den deutschen Fürsten, die sehr auf ihre Libertät, ihre politische Freiheit, pochten. Die politische wie auch kirchliche Verurteilung Luthers durch das Wormser Edikt sollte klare Verhältnisse schaffen, war aber bei weitem nicht das einzige Problem.

Widerstand in Worms

Bei Luthers Einvernahme wurden seine Bücher auf einem Tisch aufgestapelt und Luther zum Widerruf aufgefordert. Er jedoch widerstand dem Druck. So schreibt der Reformator, wie die offiziellen Protokolle des Reichstags belegen: „… wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde, … so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift … überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“ Luther berief sich also einerseits auf das Zeugnis der Bibel und sein dadurch gebundenes Gewissen, andererseits auf eine transparente, nachvollziehbare Argumentation. Da das Verfahren damit abgeschlossen und ihm freies Geleit zugesichert worden war, reiste Luther am 26. April Richtung Wittenberg ab.

Hier kommt es zu der dramatischen „Entführung“ Luthers auf Betreiben seines Landesherrn Friedrichs des Weisen: Er wird auf die Wartburg gebracht und dort als „Junker Jörg“ versteckt gehalten. Am 21. Mai, als schon viele Fürsten und Reichsstände Worms verlassen hatten, wurde mit dem Wormser Edikt die Reichsacht über Luther und seine Anhänger verhängt; das Edikt wurde dabei auf den 8. Mai rückdatiert. Der Reichstag wurde offiziell am 26. Mai geschlossen. Im Oktober 1521 wurde die Bannbulle publiziert und damit in Rechtskraft gesetzt.

Im 19. Jahrhundert erreichte die Heroisierung Luthers eine Hochblüte – wie auf diesem Historiengemälde von Anton von Werner von 1877. Foto: wikimedia

Luthers Erklärung „Hier stehe ich und kann nicht anders! Gott helfe mir, Amen!“ ist Legende. Diese Worte wurden wahrscheinlich hinzugefügt, um die Szenerie greifbarer zu machen. Eine solche Dramatik faszinierte besonders das 19. Jahrhundert. 1884 entstand das Monumentalgemälde „Luther nach seiner Rede auf dem Reichstag zu Worms“ von Wilhelm Beckmann. Luther tritt darin heldenhaft auf, geradlinig und mutig. Das entsprach deutscher Selbstsicht in jener Zeit. Man stellte sich Luther als typisch deutschen Helden vor. Das wenige Jahre zuvor, 1877, geschaffene Gemälde von Anton von Werner, Direktor der Berliner Akademie, weist in dieselbe Richtung. Ein zeitgeschichtlicher Bezug ist unübersehbar. Im gleichen Jahr schuf Werner sein Historiengemälde „Die Proklamierung des deutschen Kaiserreiches“, die im Jahr 1871 stattgefunden hatte. Parallelen zwischen dem Reformator Luther und dem Reichsgründer Bismarck drängen sich auf. Luther erscheint fast wie ein Staatsmann. Das entsprach aber keinesfalls der Realität, was offenbar auch Werner wusste. Es ist auffällig, dass er von ihm nicht als „Hercules germanicus“ dargestellt wurde; eine Vorstellung, die sich schon im 16. Jahrhundert findet.

Luthers Weigerung? Irritierend!

Eine zeitgenössische Darstellung des Reichstages, ein in Augsburg gedruckter Stich eines unbekannten Künstlers aus dem Jahr 1521, ist fern jeder Heroisierung. Luther wirkt defensiv und versucht offenbar, auf seine Herausforderer zuzugehen. Fast scheint es, dass er noch zuversichtlich ist, die Gegenseite überzeugen zu können. Von dieser Hoffnung berichtet auch der Augsburger Humanist Konrad Peutinger, der in Worms anwesend war. Dass Luther am ersten Tag wenig selbstsicher auftrat und eine Nachdenkzeit erbat, mag nicht nur mit den Strapazen der gerade erst beendeten Reise und dem mit der Lage verbundenen enormen Stress zu tun gehabt haben, sondern auch mit Luthers schlechtem Gesundheitszustand. Auf dem Weg zum Reichstag musste er sich einem Aderlass unterziehen, zusätzlich litt er unter chronischer Verstopfung.

Luthers Weigerung des Widerrufs konnte nur, gelinde gesagt, irritierend wirken. Kaiser Karl, der Stärke zeigen und diese Sache eines Mönches aus der Provinz vom Tisch haben wollte, reagierte mit einer aggressiven Verhärtung seiner Position. Es kam nicht von ungefähr, dass Luthers Landesherr und Förderer, Friedrich der Weise, die weise Entscheidung traf, Luther auf der Wartburg zu verstecken. In dieser Zeit, im Sommer 1521, schuf Luther nicht nur die Übersetzung des Neuen Testaments, sondern war hoch aktiv und konnte in der erzwungenen Einsamkeit das Profil seiner Theologie weiter schärfen. Luther hatte sich in seiner 1520 entstandenen Reformschrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ gewandt. Nun wurden sein Landesherr zu seinem wichtigsten Beschützer und die Landstände zu den bedeutendsten Förderern der Reformation.

Und in Österreich?

Am Tag vor seinem entscheidenden Widerstand gegen den kaiserlichen und kirchlichen Willen hatte sich Luther an den berühmten Arzt, Historiker, Diplomaten und Professor an der Wiener Universität, Johannes Cuspinian, gewandt. Die Universität Wien war ein Zentrum des Humanismus und sympathisierte mit der Reformation. Ein Jahr nach dem Reichstag in Worms 1521 kam auf Einladung des Wiener Bischofs Georg von Slatkonia sogar ein evangelischer Theologe nach Wien: Im Jänner 1522 predigte Paul Speratus im Wiener Stephansdom über ein Kernthema evangelischer Theologie: die Gnadenlehre. Er schrieb wenig später, 1523, darüber das bis heute bekannte Programmlied „Es ist das Heil uns kommen her“. Zunächst ging das Eindringen reformatorischer Vorstellungen gerade in Wien aber eher unauffällig vor sich. Viele versuchten einen Mittelweg zwischen den sich ausbildenden Konfessionen oder vertraten einen Reformkatholizismus, also das Bemühen um Umsetzung reformatorischer Ideen innerhalb der Katholischen Kirche.

Nun gab es eine zweifache Bewegung der Reformation. Das brachte nach 1521 die Sympathisanten der evangelischen Sache jedoch in arge Bedrängnis: einerseits die zunehmende Verhärtung der habsburgischen Position, andererseits die zunehmende Schärfung eines pointiert „protestantischen“ Profils. Vor allem in den habsburgischen Ländern war dies komplex. Anders als im Kurfürstentum Sachsen waren die Habsburger erklärte Gegner der Reformation. Dafür wurden die Adeligen zu Trägern der evangelischen Bewegung in Österreich. Die habsburgischen Landesherren verfolgten aber „ihre“ Evangelischen. 1524 wurde Kaspar Tauber in Wien hingerichtet, 1528 Balthasar Hubmaier. Seit 1523 erließ Ferdinand I. immer wieder erneuerte Patente mit drakonischen Strafandrohungen gegen die evangelische Bewegung. Johannes Cuspinian setzte sich nach 1526, entsprechend der habsburgischen Politik, heftig von Luther ab.

Erst Vertrauter, dann Gegner Luthers: Der Wiener Gelehrte Johannes Cuspinian, hier auf einem Gemälde von Lucas Cranach d.Ä. Foto: wikimedia

So bleiben in Österreich nach dem Wormser Reichstag viele Fragezeichen. Die Reformation aber bahnte sich in großen Teilen Deutschlands ihren Weg. Dort, wo die Landesfürsten sich hinter die Reformation stellten und sie schützten. Trotz päpstlicher Bannbulle, trotz der Wirren in Bauernaufständen und Kriegen, wie etwa dem Dreißigjährigen Krieg 1618–1648. Für Martin Luther aber begann nach dem Reichstag zu Worms eine intensive Schaffenszeit. Als „Junker Jörg“ lebte er monatelang auf der Wartburg und begann mit der Bibelübersetzung.

Der vorliegende Text ist ursprünglich ich der Märzausgabe der evangelischen Zeitung „SAAT“ erschienen. Die SAAT können Sie hier um 30 Euro pro Jahr abonnieren.

ISSN 2222-2464

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