18.12.2002

Gefangenenseelsorger kritisiert Missstände

Wiener Pfarrer Matthias Geist fordert von der nächsten Bundesregierung "Schritte in Richtung eines humanen und Sinn machenden Strafvollzugs"

Wiener Pfarrer Matthias Geist fordert von der nächsten Bundesregierung „Schritte in Richtung eines humanen und Sinn machenden Strafvollzugs“

Wien, 18. Dezember 2002 (epd Ö) Die Evangelische Gefangenenseelsorge Wien verlangt von der neuen Bundesregierung und dem nächsten Justizminister „wesentliche Verbesserungen und Schritte in Richtung eines humanen und Sinn machenden Strafvollzugs“, wie es in einem Forderungspapier heißt, mit dem Pfarrer Dr. Matthias Geist am Freitag, 13. Dezember, in die Öffentlichkeit ging.

Geist betreut in der Bundeshauptstadt sechs Justizanstalten, darunter mit dem Landesgerichtlichen Gefangenenhaus in Wien-Josefstadt auch die größte des Landes. Auf mehreren Seiten wendet er sich gegen Missstände, die er nicht länger unkommentiert hinnehmen will.

Die Krisenintervention sei grundsätzlich „nicht mehr vollständig“ durchführbar, meint Geist. Was die Betreuung der Häftlinge durch Fachkräfte – Ärzte, Psychiater oder Sozialarbeiter – anlangt, sei auf Grund fehlender personeller Kapazitäten eine umfassende Obsorge „nicht auch nur annähernd möglich“.

So ist Geist etwa ein Fall bekannt, wo ein U-Häftling sieben Monate vergeblich auf den erbetenen psychologischen Beistand warten musste. Ein herzkranker Häftling wiederum werde „gesundheitlich mangelhaft und unzureichend versorgt“, berichtet der Pfarrer. Dies liege nicht an der Anstaltsleitung, sondern vorrangig am fehlenden Personal.

Der Seelsorger fordert daher eine Aufstockung der Fachdienste sowie der Justizwache und eine Motivationsförderung der vorhandenen Beamten. „Täglich passiert es jedem von uns, dass wir unseren seelsorgerischen Aufgaben nicht nachkommen können, weil man dazu die Insassen in einem gewissen Rhythmus sehen muss. Das kann“s doch nicht sein.“ Die Durchführung von Veranstaltungen und sozialen Angeboten, die auf die Reintegration der Gefangenen gerichtet sind, hänge mitunter davon ab, ob nicht zu viele Beamte im Krankenstand sind und daher ausfallen: „Ich zittere zum Beispiel um Vorführungen zu den Weihnachts-Gottesdiensten.“

„Maßnahmen der Personaleinsparung sind destruktiv, entwürdigen die Insassen in ihrem So-Sein und führen letztendlich zu einer höheren Kriminalitätsrate und steigenden Kosten der Justiz insgesamt“, heißt es dazu wörtlich in einer Aussendung der Evangelischen Gefangenenseelsorge.

Auch bei der Resozialisierung ortet Geist Defizite: Ein „Lebenslanger“ wird nach 22 Jahren Haft derzeit in der Justizanstalt Favoriten auf seine Entlassung vorbereitet. Selbst begleiteten Ausgang bekomme er nicht gewährt, könne daher nicht seine schwer kranke, 81 Jahre alte Mutter besuchen, bemängelt Geist: „Wenn er in vier oder fünf Jahren entlassen wird, ist die Mutter dann wahrscheinlich tot, und er hat draußen gar keine Bezugsperson mehr. Da frage ich mich, wie seine Resozialisierung möglich sein soll.“

Schließlich sind dem Geistlichen, der regelmäßig Verhandlungen besucht, auch „Störfaktoren“ bei Strafprozessen aufgefallen. Es könne beispielsweise nicht sein, dass sich Richter in Zynismen und verbalen Ausrutschern – vor allem Ausländern gegenüber – üben, so Geist. In einer Art „Beweislastumkehr“ hätten Angeklagte mitunter ihre Schuldlosigkeit zu beweisen.

ISSN 2222-2464

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