07.11.2021

Existenzielles Ringen

Maria Katharina Moser über ein Gespräch am Lebensende

"Die Gewissenskonflikte, in die das ausnahmslose Verbot des assistierten Suizids führt, können unbarmherzig sein." Foto: pixabay

Maria Katharina Moser über ein Gespräch am Lebensende

Dieser Tage muss ich öfter an eine Begegnung denken, die schon gut fünf Jahre zurückliegt. Ich sitze Herrn M. gegenüber auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer. Auf dem Tisch vor ihm sind Papiere ausgebreitet. Er hat sie intensiv gelesen, einzelne Sätze sind mit rosa Leuchtstift markiert, am Rand stehen Notizen. In den Texten geht es um kirchliche Positionen zum Thema Beihilfe zum Suizid. Die Frage bewegt Herrn M. zutiefst. Er hat eine Krebsdiagnose. Die Aussicht auf Heilung geht gegen null, er hat bereits Metastasen. Noch geht es ihm gut, aber als Arzt weiß er, was ihm bevorstehen könnte. Ob er das aushalten wird können? Er möchte es. Er möchte die Krankheit durchstehen bis zum Schluss, möchte nicht vor der Zeit gehen. Aber für den Fall, dass das Gefühl, nicht mehr zu können, übermächtig wird, hätte er gerne einen Ausweg. Assistierter Suizid wäre einer. Herr M. fragt sich, wie er diesen Wunsch mit seinem Glauben und seinem Gewissen vereinbaren kann.

Mit Interesse und einer gewissen Erleichterung hat er die Position der Evangelischen Kirche gelesen: Es darf nicht normal werden, sich den Tod mit Hilfe eines anderen selbst zu geben. Beihilfe zum Suizid gehört nicht zum ärztlichen Auftrag. Dennoch kann es dramatische Fälle geben, in denen es Raum für Gewissensentscheidungen braucht und die Mitwirkung an einem Suizid nicht strafrechtlich verfolgt werden sollte. Darüber muss offen diskutiert werden. Denn die Gewissenskonflikte, in die das ausnahmslose Verbot des assistierten Suizids führt, können unbarmherzig sein. Sowohl für Ärzte, die mit dem verzweifelten Bitten schwer Kranker konfrontiert sind, als auch für schwer Kranke selbst, die sich fragen: Kann ich mit jemandem über meine Situation, meinen Wunsch zu sterben, meine Angst reden? Ein strafrechtliches Verbot hilft in solchen Situationen wenig. Es geht darum, Menschen in dieser schweren Phase ihres Lebens beizustehen, und nicht darum, mit absoluten Antworten, was für sie richtig und was falsch ist, ihr Gewissen zu beschweren.

Aktuell wird in Österreich diskutiert über einen Entwurf für ein sogenanntes Sterbeverfügungsgesetz. In diesem werden strenge Regeln festgelegt, unter denen unheilbar Kranke assistierten Suizid in Anspruch nehmen können.

Herr M. erlebt die anstehende Gesetzesänderung nicht mehr, er ist einige Monate nach unserer Begegnung vor fünf Jahren gestorben. Unser Gespräch war ein theoretisches. Sein tiefer innerer Konflikt, sein existenzielles Ringen, sein sorgfältiges Studieren und Abwägen der ethischen Argumente sind mir in lebendiger Erinnerung.

ISSN 2222-2464

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Sterbehilfe | Moser

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