30.10.2006

Evangelischer Empfang zum Reformationsfest 2006

EKD-Bischof Huber: Religionsfreiheit als Menschenrecht bleibt unaufgebbare Forderung der Kirchen – Bischof Sturm: Einheit Europas wesentliche Aufgabe – 20 Jahre Gehörlosenseelsorge – Diakoniepreis verliehen

EKD-Bischof Huber: Religionsfreiheit als Menschenrecht bleibt unaufgebbare Forderung der Kirchen – Bischof Sturm: Einheit Europas wesentliche Aufgabe – 20 Jahre Gehörlosenseelsorge – Diakoniepreis verliehen

Wien (epd Ö) – „Ohne Wenn und Aber ist es notwendig, dass die individuelle wie die korporative Religionsfreiheit mitsamt der religiösen Neutralität des Staates und der gemeinsamen Verantwortung von Staat und Religion für das Gemeinwesen geachtet werden. Ebenso notwendig ist es, dass wir alle Formen einer religiösen Legitimation von Gewaltanwendung hinter uns lassen.“ Dieses Fazit zog der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Dr. Wolfgang Huber, in seinem Vortrag über „Religion und Politik“, den der Berliner Bischof beim diesjährigen Reformationsempfang der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Österreich am Montag, 30. Oktober, in der Wiener Akademie der Wissenschaften hielt. Den Reformationsempfang – er fand heuer bereits zum sechsten Mal statt – prägten zwei Jubiläen: Die evangelische Gehörlosenseelsorge besteht seit 20 Jahren, und die Superintendenz Salzburg-Tirol feiert in diesem Jahr ihren 40. Geburtstag. Verliehen wurde auf dem Reformationsempfang auch der Diakoniepreis, der an fünf Gemeindeprojekte geht. Ausgezeichnet wurde ebenfalls die beste Religion-Fachbereichsarbeit des Jahres, und Bischof Mag. Herwig Sturm informierte über die aktuellen Entwicklungen in der Evangelischen Kirche. Gemeinsam mit dem reformierten Landessuperintendenten Mag. Wolfram Neumann konnte Sturm unter den rund 300 geladenen Gästen zahlreiche hochrangige Repräsentanten aus den evangelischen Kirchen, aus der Ökumene, der Politik und den Wissenschaften begrüßen.

Jede Religion hat politische Dimension

Weil Religion nicht ohne Konsequenzen für die Lebensführung bleibt, hat jede Religion auch eine politische Dimension, sagte Huber in seinem Festvortrag. Die These von der Religion als Privatsache verwies Huber in die Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts. Aufgabe der Kirchen sei nicht, Politik zu machen, „aber sie sollen Politik möglich machen“. Toleranz – für Huber das Komplementärprinzip zur Religionsfreiheit – bedeute nicht, jedem Recht zu geben, sondern Differenzen auszuhalten. Es braucht, so Huber, eine „wache, selbstbewusste Toleranz, die den Dialog einfordert, um gemeinsam Antworten auf die für alle wichtigen Fragen zu suchen“. Klar müsse zwischen Religion und Gewalt unterschieden werden. Religiös begründete Parallelgesellschaften bildeten einen Nährboden des Fundamentalismus, warnte der EKD-Ratsvorsitzende. Gesellschaft, Staat und Religionsgemeinschaften sind herausgefordert, gemeinsam die „Rahmenbedingungen der Religionsfreiheit in der freiheitlich demokratischen Grundordnung unseres Gemeinwesens so zu entwickeln, dass religiöser Fanatismus darin keinen Platz hat“. Nur in einem religiös neutralen Staat könne volle Religionsfreiheit verfassungsrechtlich gesichert werden, bekräftigte der Berliner Bischof. Beeinträchtigt werde die Religionsfreiheit laut Huber vor allem in islamischen Staaten, was besonders Christen betreffe. Religionsfreiheit als Menschenrecht weltweit bleibe eine „unaufgebbare Forderung“. Kirchen setzten hier auf die Zusammenarbeit mit dem Islam: „Wir erwarten, dass andere Religionen in Ländern, in denen Christen in der Minderheit sind, sich ebenso für die freie Religionsausübung der christlichen Kirchen und gegen staatliche Behinderungen einsetzen, wie sie in den Staaten der Europäischen Union die Religionsfreiheit in Anspruch nehmen“ – für Huber auch ein Prüfstein für die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

Wien als Schaltstelle des europäischen Protestantismus

„Unsere Kirchen sehen die Erneuerung und Einheit Europas als wesentliche Aufgabe für ihr Handeln heute und in Zukunft“, sagte Bischof Herwig Sturm in seinem Rückblick auf das vergangene Jahr. Sturm ging u.a. auf die Eröffnung des Evangelischen Gymnasiums in Wien ein, ein „Zukunftsmodell“, in dem das Zusammenleben von „hilfsbedürftigen und hilfsbereiten Menschen“ eingeübt werde. Die Gemeinschaft Europäischer Kirchen verlegt ihren Sitz nach Wien, berichtete Sturm weiter und zeigte sich überzeugt, dass sich „diese Schaltstelle des europäischen Protestantismus hier gut entwickeln“ werde.

Die Gebärdensprache wurde in Österreich 2005 gesetzlich anerkannt, die evangelische Gehörlosenseelsorge führt Gottesdienste bereits seit 20 Jahren in der Gebärdensprache durch, erzählte Pfarrerin Mag. Lydia Burchhardt, die derzeit selbst eine Ausbildung in Gebärdensprache absolviert. Sie erinnerte an die Anfänge der Seelsorgearbeit, die auf eine Initiative des 2002 verstorbenen Pfarrers Wieland Frank zurückgeht, ein „Pionier der Gehörlosenseelsorge in Österreich und Europa“, so Burchhardt

Innovative diakonische Projekte

Der Diakoniepreis 2006 geht diesmal an innovative diakonische Projekte in den Gemeinden Gallneukirchen, Graz-Heilandskirche, Oberwart, Wallern und Windischgarsten. Die beste Fachbereichsarbeit stammt von Sarah Aster vom Akademischen Gymnasium Innsbruck. Unter der Betreuung von Mag. Carola Conzelmann untersuchte Aster, welche Bedeutsamkeit evangelische Theologinnen und Theologen dem Hohelied Salomos beimessen. Die ausgezeichnete Untersuchung stehe exemplarisch „für die hervorragende Arbeit, die im evangelischen Religionsunterricht das ganze Jahr über geleistet wird“, betonte Oberkirchenrat Hon.-Prof. Dr. Michael Bünker bei der Preisverleihung.

Das Buffet bot diesmal Spezialiäten der feiernden Diözese Salzburg-Tirol. Auch ein musikalischer Beitrag kam aus Salzburg: Gemeinsam mit dem Bläserquintett „Brassissimo Vienna“ gestaltete der Integrative Chor der Evangelischen Hauptschule Salzburg unter Maria Weikinger den musikalischen Rahmen. Superintendentin Mag. Luise Müller wies darauf hin, dass den integrativen Schulen zunehmend „rauerer Wind“ entgegenwehe. Nur durch die Hilfe des Landes Salzburg konnten heuer die notwendigsten Stunden gesichert werden. Hier sei dringend „politisches Umdenken“ notwendig, forderte die Superintendentin.

ISSN 2222-2464

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