29.10.2009

Evangelische Kirchen fordern langfristige und soziale Krisenbewältigung

Bischof Bünker bei der Pressekonferenz zum Reformationsempfang: "Krise der Verantwortung"

v.l.: Michael Bünker, Thomas Hennefeld, Lothar Pöll und Michael Chalupka.

Bischof Bünker bei der Pressekonferenz zum Reformationsempfang: „Krise der Verantwortung“

Wien (epd Ö) – Nachhaltiges Wirtschaften, Mindestsicherung und Armutsbekämpfung, Bildungsgerechtigkeit, Sozial- und Umweltverträglichkeit sowie Integration und Zuwanderung, das sind die Forderungen eines Positionspapiers der Evangelisch-lutherischen, der Evangelisch-reformierten und der Evangelisch-methodistischen Kirche zur gegenwärtigen Wirtschaftskrise, das bei einer Pressekonferenz anlässlich des diesjährigen Reformationsempfangs der Evangelischen Kirchen Österreichs am 29. Oktober präsentiert wurde. In dem Papier mit dem Titel „Allein ist nicht genug – Für eine Kultur des Vertrauens“, das auch beim Reformationsempfang vorgestellt und den Verantwortlichen in der Regierung übermittelt werden soll, „ermutigen“ die Kirchen die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, „über die kurzfristige Stabilisierung hinaus eine langfristige Bewältigung der Krise zu ermöglichen“. In dem Papier wird auch festgehalten, der Leitsatz für die kirchliche Einmischung in die Politik im Sinne der Evangelischen Kirchen in Österreich laute: „Kirchen wollen nicht selber Politik machen, sondern politisches Handeln ermöglichen.“

Wie der lutherische Bischof Michael Bünker auf der Pressekonferenz erläuterte, könne die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise, auf die der heutige Reformationsempfang ausgerichtet sei, auch als „Krise der Verantwortung“ beschrieben werden. Bünker hob hervor: „Seit der Reformation treten die evangelischen Kirchen für den verantwortlichen Gebrauch der Freiheit ein und setzen sich für ein Zusammenleben in Vertrauen ein.“ Der Bischof sagte: „Es sind in erster Linie diejenigen in die Pflicht zu nehmen, die Verantwortung tragen oder von der Art des Wirtschaftens, die zur Krise geführt hat, über die Maßen profitiert haben.“ In diesem Zusammenhang kritisierte Bünker einen „Sozialneid von oben, durch den die Verantwortung für die Folgen abgelehnt und nach unten verlagert wird“.

Hennefeld: Warnung vor „Barbarei“ und vor „Recht des Stärkeren“

Dass fehlende Verantwortung in der Gesellschaft „in die Barbarei und zum Recht des Stärkeren“ führen kann, davor warnte auch der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld auf der Pressekonferenz. Hennefeld sprach davon, dass die „Kluft zwischen Besitzenden und Besitzlosen“ gewachsen sei. Für den christlichen Glauben gebe es aber „einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Gottesliebe und Menschenliebe, zwischen Gottesdienst und Dienst am Menschen“. Hennefeld folgerte daraus: „So sind wir als Kirche gefordert, uns dem Menschen in seiner Ganzheit zuzuwenden, und das schließt auch die Forderung an die Politik nach sozialer Gerechtigkeit, ja nach menschenzentrierter und nicht marktzentrierter Gesellschaft ein.“

Seine Kirche bemühe sich „seit jeher, Evangelium und soziales Handeln zu verbinden“. Das unterstrich der Superintendent der Evangelisch-methodistischen Kirche in Österreich, Pastor Lothar Pöll, in dem Pressegespräch. Die Evangelisch-methodistische Kirche in Österreich setze sich ein „für eine Mindestsicherung, von der ein Mensch wirklich leben kann, für eine Asylpolitik, die mit den Menschenrechten und der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar ist, und für eine Politik der Integration und Antidiskriminierung, die getragen ist von einer Wertschätzung von Migranten und Migrantinnen“.

Chalupka: Die Schwächsten müssen die Krise bezahlen

Derzeit werde in der Gesellschaft diskutiert, wer für die Krise zahlen müsse, und es bestehe die Gefahr, dass dies die Schwächsten seien. Das erklärte der Direktor der Diakonie Österreich, Pfarrer Michael Chalupka. Chalupka forderte „ein drittes Job- und Konjunkturpaket, das in Pflege, Kinderbetreuung und Bildung investiert“, eine inklusive Pädagogik und eine „sozial nicht ausgrenzende Schule“ für Kinder mit Behinderungen, sozial benachteiligte Kinder und Kinder aus armutsgefährdeten Familien sowie eine Sozialverträglichkeitsprüfung zur Vermeidung nachteiliger sozialer Auswirkungen von Gesetzesvorhaben.

Scharf wandte sich der Diakonie-Direktor gegen die Kürzung der Sozialhilfe um 15 Prozent und forderte stattdessen „eine Mindestsicherung, die zum Leben reicht“. Chalupka trat auch für ein eigenes Integrationsressort ein, da das Innenministerium in Sachen Integration und Migration „für den weitaus größten Teil der Materie nicht über die notwendige Kompetenz verfügt“. Das Innenministerium sei „fehl am Platz“, wenn es darum gehe, Entscheidungen über Fragen wie integrativer Unterricht, Wohnungsfinanzierung und Stadtentwicklungsinitiativen zu fällen.

Zum Vorschlag des Finanzministers, Konten für Transferleistungen einzurichten, sagte der Diakonie-Direktor: „Ich glaube, das ist ein Gag. Hier muss noch vieles durchdacht werden.“ Grundsätzlich gelte: „Transparenz ist immer gut, Kürzen von Sozialleistungen ist verwerflich.“

Bünker: Studentenproteste „positiv“

Zu den Studentenprotesten auf Grund der Situation an den Hochschulen erklärte Bischof Bünker auf Journalistenfragen, protestierende Studenten seien „etwas Positives“. Das zeige, dass es keine politikverdrossene Jugend gebe. Bünker bekräftigte: „Wir brauchen mehr Bildungsgerechtigkeit. Die Politik ist hier gefordert.“

Zur ökumenischen Situation in Österreich sagte der Bischof, sie sei „im Wesentlichen eine sehr gute“, vor allem auf Grund der großen ökumenischen Vielfalt im Land, die insbesondere den orthodoxen Kirchen zu verdanken sei. Bünker verwies auf die Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien-Krems als ökumenischer „Schrittmacher“. Handlungsbedarf bestehe allerdings noch in der Umsetzung ökumenischer Dokumente wie der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre im kirchlichen Leben. „Sorge“ bereite das Angebot des Vatikans an unzufriedene anglikanische Priester. Hier stelle sich die Frage, ob es sich um „Rückkehrökumene“ handle.

ISSN 2222-2464

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