06.11.2008

Evangelische Kirche warnt vor Politik, die Menschen gegeneinander aufhetzt

"Erklärung für eine menschliche Gesellschaft und gegen Rassismus" - Kirchenleitende Gremien besuchten die Gedenkstätte Schloss Hartheim - Honorarfreie Bilder auf foto.evang.at

„Erklärung für eine menschliche Gesellschaft und gegen Rassismus“ – Kirchenleitende Gremien besuchten die Gedenkstätte Schloss Hartheim – Honorarfreie Bilder auf foto.evang.at

Hartheim (epd Ö) „Das soziale Klima wird zunehmend von Mitleidlosigkeit und Kälte bestimmt. Eine erbarmungslose Konkurrenzgesellschaft erhöht den Leistungsdruck und die Arbeitshetze. Asylsuchende und Schwache werden dann zu Sündenböcken gestempelt für vieles, was im eigenen Leben und in der Gesellschaft insgesamt schief läuft“, heißt es in einer Erklärung des Evangelischen Oberkirchenrates A.u.H.B. und der Synodalausschüsse A.B. und H.B. vom 6. November. Die Erklärung mit dem Titel „Für eine menschliche Gesellschaft und gegen Rassismus“ ist von den Mitgliedern der kirchenleitenden Gremien im Zusammenhang mit einem Besuch der Gedenkstätte Schloss Hartheim verabschiedet worden. In Hartheim bei Alkoven in der Nähe von Linz haben die Nationalsozialisten in den Jahren 1940 bis 1944 rund 30.000 Menschen mit Behinderungen ermordet.

Der Besuch der Gedenkstätte war Teil des Jahresthemas der evangelischen Kirchen 2008 „Auf dem Weg der Umkehr“, bei dem es um eine Standortbestimmung im Verhältnis zum Judentum geht. Diese sei nicht möglich, so heißt es in der Erklärung, ohne die Rückbesinnung auf die Wurzeln, aus denen Antisemitismus und Judenfeindschaft auch unter Evangelischen gewachsen sind. „Besonders schmerzhaft“ berühre das Wissen, dass auch Menschen aus dem nahe gelegenen Martinsstift des Diakoniewerks Gallneukirchen im Jahr 1941 in Hartheim ermordet wurden, „ohne Widerspruch der damaligen Leitung noch einer anderen kirchlichen Stelle“. So stellen sich die „bedrückenden Fragen, warum die evangelischen Kirchen so versagt haben. Was hat evangelische Christinnen und Christen bis auf wenige Ausnahmen dazu gebracht, dem verbrecherischen Geist nicht zu widerstehen, sondern ihn sogar zu unterstützen? Diesen Fragen haben wir uns weiterhin offen und selbstkritisch zu stellen.“

Der Besuch in Hartheim falle in eine Zeit, in der das Erstarken rechtsgerichteter und rechtsextremer Parteien in Europa und in Österreich zu erleben sei: „Wir warnen vor politischen Kräften, die die Menschen gegeneinander aufhetzen und vorhandene Ängste schüren“, heißt es dazu in der Erklärung. Es sollen die sozialen Konflikte aber nicht übersehen werden. Daher rufen die Verfasser dazu auf, „die Menschlichkeit zu fördern, das Zusammenleben mit Vertrauen, Respekt und Anerkennung zu erfüllen und die universale Geltung der Menschenrechte zu verlangen“. Die Erklärung, die vom lutherischen Bischof Dr. Michael Bünker, dem reformierten Landessuperintendenten Mag. Thomas Hennefeld und Synodenpräsident Dr. Peter Krömer unterzeichnet wurde, endet mit den Worten: „Wir wissen uns verpflichtet, unseren eigenen Beitrag dazu zu leisten.“

Täter gehörten nicht zu einer kleinen kriminellen Schicht

In einem an die Besichtigung anschließenden Gespräch zeigten sich die Beteiligten sehr betroffen über das Grauen wie etwa die Gaskammern oder das Krematorium. „Es gehört zu den schmerzhaftesten Einsichten, dass es sich bei den Täterinnen und Tätern nicht um eine kleine kriminelle Schicht gehandelt hat, sondern um den breiten Willen aller Beteiligten“, so Bischof Bünker. Es bleibe die Frage, „was die braven Familienväter dazu gebracht hat, so etwas zu tun, und was schützt davor?“ Es sei sehr wichtig, sich auf die Geschichte der Diakonie und der Kirche zu besinnen und zu sehen, „dass das zu unserer Geschichte gehört“, sagte der ehemalige Rektor des Diakoniewerks Gallneukirchen, Dr. Gerhard Gäbler. Auch das Diakoniewerk habe damals die Fragebögen zur Erhebung des „lebensunwerten Lebens“ bekommen und ausgefüllt. Gleichwohl sei an dem Tag, an dem die Busse gekommen sind um die Menschen nach Hartheim zu bringen und sie dort zu ermorden, eine Schwester mit fünf oder sechs Erwachsenen in den Wald geflüchtet: „Damit hat sie ihnen das Leben gerettet. Einen von ihnen habe ich sogar noch kennen lernen dürfen“, so Gäbler.

ISSN 2222-2464

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