Ende und Anfang
Maria Katharina Moser über das Kirchenjahr, das dem Sterben und der Geburt Raum gibt
Maria Katharina Moser über das Kirchenjahr, das dem Sterben und der Geburt Raum gibt
Der Advent hält Einzug in unseren Straßen. Die Schaufenster werden dekoriert, der eine oder andere Punschstand steht schon, und festliche Beleuchtung erhellt die dunklen Abendstunden. Dabei ist noch etwas Zeit bis dahin. Bevor wir am ersten Adventsonntag die erste Strophe des bekannten Liedes „Wir sagen Euch an den lieben Advent“ anstimmen und den Blick auf Weihnachten, das Fest der Geburt Jesu, richten, wird in evangelischen Kirchen der Ewigkeitssonntag begangen.
Am Ende des Kirchenjahres steht das Ende des Lebens im Zentrum. In den Gottesdiensten am letzten Sonntag im Kirchenjahr wird der Verstorbenen gedacht. Die Namen der Menschen aus der Pfarrgemeinde, die im letzten Jahr verstorben sind, werden im Gottesdienst verlesen.
Ewigkeitssonntag und erster Advent – das Kirchenjahr gibt beidem Raum: der Geburt und dem Sterben. Alles hat seine Zeit. Es ist gut, dass alles seine Zeit und das Jahr einen Rhythmus hat.
Der Anfang hat seine Zeit, und das Ende hat seine Zeit. Das Sterben hat seine Zeit, und die Geburt ihre Zeit. Der Tod hat seine Zeit, und das Leben hat seine Zeit – und passieren doch gleichzeitig. Auch im Advent und zu Weihnachten wird es Menschen geben, die einen geliebten Menschen verloren haben und schmerzlich vermissen.
Ich finde, das Vermissen soll nicht nur am Ewigkeitssonntag Platz haben, sondern auch in der fröhlichen und besinnlichen Festzeit, die bald beginnt. Die Advent- und Weihnachtszeit, diese Zeit der Freude, der Liebe und der Familie, kann zur Qual werden für alle, die jemanden verloren haben. Sei es, weil die Mutter oder der Vater, der Ehemann oder die Partnerin, die beste Freundin oder der Großvater verstorben ist. Sei es, weil eine Beziehung zu Ende gegangen ist. Besonders schwer kann die Adventzeit Müttern und Vätern auf der Seele liegen, die ihr Kind verloren haben, noch bevor es zur Welt gekommen ist. Die freudige Erwartung auf das göttliche Kind prägt den Advent – doch ihre freudige Erwartung hat ein jähes Ende gefunden. Schmerz und Leere sind an ihre Stelle getreten.
Das wärmende Licht der Kerzen ist eine Brücke zwischen den Zeiten. Es leuchtet uns am Anfang und am Ende. Wenn in den Gottesdiensten am Ewigkeitssonntag die Namen verlesen werden, wird für jeden Verstorbenen eine Kerze entzündet. In meiner Gemeinde werden die Kerzen am Rand des Taufbeckens aufgestellt. Der Licht-Kreis, den sie bilden, erinnert mich an den Adventkranz.
Schon eine kleine Kerze erstrahlt hell, auch in einem großen, dunklen Raum – ein Symbol dafür, dass das Leben stärker ist als der Tod. „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.“ So heißt es im 1. Kapitel des Evangeliums nach Johannes. Das Licht ist stärker als die Finsternis. Das macht Hoffnung. Hoffnung brauchen wir immer, am Anfang wie am Ende, am ersten Adventsonntag genauso wie am Ewigkeitssonntag. Das Licht der Hoffnung, das Gott uns schenkt, verbindet die Zeiten.
ISSN 2222-2464