26.11.2020

Dantine: „Wir können uns nicht aus der Pandemie herausbeten“

Online-Tagung in Innsbruck untersucht Rolle der Religionen in Coronakrise

Gerade in fundamentalistischen Kreisen würde das Infektionsgeschehen oft verharmlost werdnen, beobachtete Dantine bei der Tagung in Innsbruck. Im Bild: Die Innbsrucker Christuskirche. Foto: epd/Uschmann

Online-Tagung in Innsbruck untersucht Rolle der Religionen in Coronakrise

Innsbruck (epdÖ) – Der evangelische Superintendent der Diözese Salzburg/Tirol, Olivier Dantine, sieht die Religionsgemeinschaften in der Pflicht, in der Coronakrise Aufklärungsarbeit zu leisten – gerade was Wissenschaftsskepsis und Verschwörungstheorien anbelangt: „Wir können uns nicht aus der Pandemie herausbeten. Das ist den allermeisten klar, aber leider eben nur den allermeisten“, sagte Dantine am Donnerstag, 26. November, bei einem Diskussionspanel an der Universität Innsbruck, das die Rolle der Glaubensgemeinschaften in der Krise thematisierte. Gerade in fundamentalistischen Kreisen – Dantine sprach damit alle Religionsgemeinschaften gleichermaßen an – sei zu beobachten, dass das Infektionsgeschehen verharmlost werde. Wichtig sei dagegen zum einen, die Grenzen kirchlichen Handelns anzuerkennen. Zugleich gehe es aber darum, Halt zu geben in einer Situation, in der viele Menschen mit der Zerbrechlichkeit und Unverfügbarkeit des Lebens konfrontiert seien. Die Gesprächsrunde, an der neben Dantine der römisch-katholische Theologe Roman Siebenrock, der muslimische Theologe Zekirija Sejdini und Thomas Lipschütz von der Israelitischen Kultusgemeinde Tirol und Vorarlberg teilnahmen, war Teil der Tagung „Corona Verstehen“, die – online – von 25. bis 27. November an der Universität stattfand.

Siebenrock: „Gott nichts als Deus ex Machina einsetzen“

Man könne Gott nicht als Deus ex Machina einsetzen, zitierte der römisch-katholische Leiter des Instituts für Systematische Theologie an der Universität Innsbruck, Roman Siebenrock, den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Die Coronakrise könne damit nicht auf Gott zurückgeführt werden, zum Beispiel im Sinne einer Strafe, sondern konfrontiere uns selbst mit einer „radikalen Kontingenz“. Die Situation sei dadurch ausgezeichnet, „dass wir keine Ahnung haben, wie wir diese Herausforderung bewältigen können“. Er glaube nicht, dass es theologisch schnell Antworten auf die Fragen geben werde, die sich durch die Pandemie stellten: „Ich bin der Meinung, dass wir die Sprachlosigkeit dieser Zeit sehr notwendig haben. Vielleicht kann erst die nächste Generation die richtigen Schlüsse daraus ziehen.“ Dennoch plädierte Siebenrock für „eine ökumenische, vielleicht interreligiöse Synode, in der wir fragen, was ist unsere Aufgabe und Verantwortung in dieser Welt?“

Lipschütz: „Krankheit ruft dazu auf, über Leben zu reflektieren“

Leben zu erhalten sei eines der grundsätzlichen Gebote des Judentums, unterstrich Thomas Lipschütz von der Israelitischen Kultusgemeinde Tirol und Vorarlberg. Das impliziere das eigene Leben, aber auch das von anderen Menschen und Lebewesen, was gerade jetzt in der Pandemie schlagend werde. Als lebensbejahende Religion betone das Judentum, dass auch im Krankheitsfall die Hoffnung auf Besserung nicht aufgegeben werden dürfe. Auch rufe die Krankheit dazu auf, über das eigene Leben zu reflektieren: „Wie ist mein Leben verlaufen? Wie kann ich es verbessern? Was ist schief gelaufen?“ Sie könne der Appell Gottes an den/die Einzelnen für ein neues Denken sein.

Sejdini: Moscheegemeinden durch Lockdown in Existenz bedroht

Das Aussetzen aller gemeinschaftlichen Gebete in der Coronakrise sei nicht nur durch medizinische und politische Vorgaben begründet, sondern auch durch Aussagen des Propheten Mohammed, unterstrich Zekirija Sejdini, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Innsbruck und für Islam in der Gegenwartsgesellschaft an der Universität Wien. So habe Mohammed angeordnet, wenn in einem Land eine Epidemie ausbreche, solle man es nicht betreten, wenn sie aber schon ausgebrochen sei, solle man es nicht verlassen. Zudem sollten Menschen mit ansteckenden Krankheiten Gesunde nicht besuchen. Diese Worte seien auch von Politikern in mehrheitlich muslimischen Ländern aufgegriffen worden. Gleichwohl hätten der Lockdown und die Krise, die unmittelbaren Einfluss auf den Fastenmonat Ramadan und die traditionelle Pilgerfahrt nach Mekka hatten, für Irritationen gesorgt. In Österreich seien zudem viele kleinere Moscheengemeinden auf Grund von Spendenausfällen in ihrer Existenz bedroht.

ISSN 2222-2464

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