23.08.2020

Confessio digitalis?

Julia Schnizlein über neue Gottesdienste im Netz

"Digitale Angebote können die Ortskirche beflügeln, weil sie das herrschende Bedürfnis nach Flexibilität und Selbstbestimmtheit bedienen. Sie können Lust machen, das, was im Internet als positiv wahrgenommen wird auch einmal live zu erleben!" Foto: epd/Windisch

Julia Schnizlein über neue Gottesdienste im Netz

Sonntags früh um zehn finden Sie mich meistens in der Kirche. Und ich freue mich jedes Mal, wenn ich dort auf viele andere Menschen treffe. Aber ein Blick in so manches Kirchenschiff zeigt, dass der Sonntagmorgen für viele nicht die beste Zeit für einen Gottesdienstbesuch ist. Da will man wenigstens ein einziges Mal pro Woche ausschlafen. Oder endlich einmal Qualitätszeit mit der Familie verbringen. Oder mit Freunden zum Ganztagesausflug aufbrechen. All jenes eben, wofür im hektischen Alltag wenig Zeit bleibt – die Liste der Möglichkeiten ist endlos.

Tatsächlich stammt die traditionelle Gottesdienstzeit am Sonntagmorgen noch aus einer landwirtschaftlich geprägten Welt: Mägden und Knechten sollte es möglich sein, zwischen zwei Stallfütterungen, nach dem Melken und vor dem Mittagessen, den Gottesdienst zu besuchen.

Viele der potenziellen Gottesdienstbesucherinnen müssen heute keine Kühe mehr melken, wollen aber vielleicht mit Freunden Cappuccino schlürfen. Das heißt nicht notgedrungen, dass sie kein Interesse an Gottesdiensten haben!

Während des Lockdowns ist eine Vielfalt an digitalen kirchlichen Angeboten entstanden. Gestreamte Gottesdienste auf YouTube, Predigtgedanken auf Instagram und Gebete via WhatsApp haben einen regelrechten Nachfrage-Boom ausgelöst. Eine erste Studie aus Deutschland spricht von einem Gottesdienstbesucherzuwachs von 287 Prozent.

Diese Zahlen dürfen nicht zum Trugschluss führen, die Zukunft der Kirche läge rein im Digitalen. Und persönlich bin ich auch der Meinung, dass es die jahrhundertelang erlernte und verinnerlichte Gottesdienstzeit am Sonntagmorgen braucht. Trotzdem liegt in der digitalen Kirche eine große Chance: Digitale Angebote können die Ortskirche beflügeln, weil sie das herrschende Bedürfnis nach Flexibilität und Selbstbestimmtheit bedienen. Sie können Lust machen, das, was im Internet als positiv wahrgenommen wird auch einmal live zu erleben!

Und letztendlich entspricht die digitale Verkündigung auch dem, was Jesus Christus uns aufgetragen hat: „Geht hinaus in alle Welt und verkündigt das Evangelium der ganzen Schöpfung“ (Markus 16,15). Von einer fixen Uhrzeit hat er dabei nicht gesprochen.

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@juliandthechurch

ISSN 2222-2464

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