15.06.2015

Brechts „Die Maßnahme“ erstmalig in Kirche aufgeführt

Diskussion über "entmenschlichte Ökonomie" im Vorfeld der Aufführung

Die Lösung, die Brecht und Eisler in "Die Maßnahme" präsentieren, sei weder zeitgemäß noch zu befürworten, sie rege aber zur Diskussion an, so der Grundtenor der Debatte, die unter dem Titel "Entmenschlichte Ökonomie" stand. Im Bild die Kurstafel der Hamburger Börse. (Foto: Wikipedia/KMJ)

Diskussion über „entmenschlichte Ökonomie“ im Vorfeld der Aufführung


Wien (epdÖ) – Das umstrittene Brecht-Lehrstück „Die Maßnahme“ war am 12. und 13. Juni in der reformierten Stadtkirche in Wien zu sehen. Damit wurde das Werk erstmalig in einem Kirchenraum aufgeführt. Begleitet wurden die Vorstellungen jeweils von Diskussionsveranstaltungen. Die Kirchen vergessen in ihrem Einsatz für Arme und benachteiligte Menschen oft die politische Dimension, dies sei eine „Schwäche in der Theologie“, betonte der evangelisch-reformierte Theologe und Ethiker Ulrich Körtner bei einem Gespräch zum Thema „entmenschlichte Ökonomie“ am Freitagabend, 12. Juni.

Das Lehrstück „Die Maßnahme“ entstand 1930 in Zusammenarbeit von Bertold Brecht mit dem Komponisten Hanns Eisler und wurde lange als kommunistisches Propagandawerk missverstanden. Aufgrund eines Aufführungsverbots bis 1998 ist Eislers Musik zur „Maßnahme“ nur wenigen Menschen bekannt. Brechts Lehrstück erzählt die Geschichte eines Auftrags und dessen extremen Folgen: Vier Revolutionäre müssen sich für die Tötung eines jungen Genossen verantworten. Das Stück gipfelt in der Frage, ob man zugunsten einer humaneren und gerechteren Gesellschaft töten darf. Aufgeführt und erarbeitet wurde das Stück unter der Gesamtleitung von Landeskantor Matthias Krampe vom Albert Schweitzer Chor und dem Ensemble M12 Wien.

Der Eisler-Experte Hartmut Krones von der Universität Wien betonte in seiner Werkeinführung die Besonderheiten des Stücks. Es handele sich um eine Parabel über eine politische Geschichte, die nur mit Schlagwerk, Blechbläsern und Klavier besetzt ist. Mit der Besetzung wollte der Komponist größtmöglichen Ausdruck und Affektiertheit erreichen, so Krones. Darüber hinaus nimmt das Stück in vielerlei Hinsicht Anleihen an der barocken Kirchenmusik Bachs und Händels. „Das mag zwar auf den ersten Blick durchaus paradox klingen, war vom Künstler aber bewusst gewählt“. Überhaupt fänden sich im Stück einige Anlehnungen an das Christentum. So sei das Thema, nämlich die Selbstopferung für die Menschheit, ein zutiefst christliches, so Krones.

Körtner kann in dem Stück hingegen wenige Parallelen zum christlichen Glauben erkennen. „Wir Christen glauben prinzipiell an Gewaltlosigkeit bei der Lösung von Konflikten“, deswegen sei die Aufführung dieses Werks in einer christlichen Kirche eine „Provokation im positiven Sinn“. Das Stück würde nämlich durchaus zum Nachdenken anregen, so könne man beispielsweise die kirchlichen Positionen zur Politik diskutieren. „Die Kirchen sprechen immer von der Option für die Armen, politische Dinge sprechen sie aber nie an“, so Körtner, der in diesem Punkt durchaus eine „Schwäche in der Theologie“ sieht. Die Lösung, die Brecht und Eisler in „Die Maßnahme“ präsentieren, sei zwar durch die Kirchen sicherlich nicht zu befürworten, sie rege aber zur Diskussion an, so der Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien.

„Brauchen grundlegende Änderungen“

Die Armutsexpertin Michaela Moser habe sich beim Lesen des Stücks „schwer getan“. „Es braucht natürlich grundlegende Änderungen im System“, mit dem revolutionären Ansatz des Werks könne sie aber nichts anfangen. Vielmehr gelte es, sich der Kraft des alltäglichen Handelns bewusst zu werden. Dieses Modell einer Gemeinwohl-Ökonomie, in der jeder auf die Bedürfnisse der anderen Rücksicht nimmt, habe für sie deutlich mehr Potential, sagte Moser.

Auch für Christian Friesl von der Industriellenvereinigung ist die Idee, einen gesellschaftlichen Prozess revolutionär umzusetzen, heute nicht mehr denkbar, von einer politischen Warte aus sei das Werk aber durchaus relevant. Die Frage, wie weit Politik gehen darf, um Dinge umzusetzen und ihre Macht zu erhalten, sei auch heute sehr aktuell, sagte Friesl, der katholische Theologie studiert hat. Das Stück sei kein theologisches Stück, aber definitiv „theologisch aufgeladen“. Die Frage, ob man für das Gute sterben soll, sei zutiefst christlich, allerdings könne man eine Ideologie wie den Kommunismus nicht mit dem christlichen Glauben gleichsetzen, betonte Friesl.

Bei der Lösung von konkreten Problemen müsse man von der heutigen Situation ausgehen, sagte der Ökonom Stephan Schulmeister. Für die heutige Zeit sei das Stück begrenzt relevant. „Eine Zähmung des Systems ist absolut notwendig, allerdings nicht mit den Optionen von 1930“, unterstrich Schulmeister. Es brauche ein neues gesellschaftliches Bewusstsein, von der christlichen-sozialen Politik könne man in dieser Hinsicht aber „leider nichts erwarten“. Hier müssten vielmehr gemeinnützige Organisationen, aber auch die Kirchen eine „Verteidigungslinie“ schaffen, um diesen Wandel voranzutreiben.

ISSN 2222-2464

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