08.10.2021

Bischof Chalupka: „Die Gesellschaft ist theologiebedürftig“

Faßmann: „Funktionierender Korporatismus“ – Blimlinger: „Konfessionelle Anbindung widerspricht Freiheit der Wissenschaft“

Bei der Diskussion im Großen Festsaal der Universität Wien (v.l.): Bildungsminister Heinz Faßmann, die Grüne Bildungssprecherin Eva Blimlinger, Moderatorin Astrid Schweighofer, die römisch-katholische Theologin Regina Polak, Journalistin Renata Schmidtkunz und Bischof Michael Chalupka. Foto: epd/Windisch

Faßmann: „Funktionierender Korporatismus“ – Blimlinger: „Konfessionelle Anbindung widerspricht Freiheit der Wissenschaft“

Wien (epdÖ) – Welche Rolle spielt die evangelische Theologie in der Gesellschaft? Darüber zeigten sich Vertreterinnen und Vertreter von Politik, Kirche und Wissenschaft am Freitag, 8. Oktober, in einer Podiumsdiskussion an der Universität Wien nicht restlos einig. Angesichts der erlebten „Unverfügbarkeit, Fragmentarität und Ohnmacht“ sei die Gesellschaft „theologiebedürftig“ betonte etwa der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka. Eine konfessionell angebundene Theologie widerspreche hingegen der Freiheit der Wissenschaft, argumentierte die Bildungssprecherin der Grünen im Nationalrat, Eva Blimlinger. Bildungsminister Heinz Faßmann unterstrich ebenso: Wenn man die universitäre Ordnung neu aufbauen würde, dann „müsste man eine theologische Fakultät mit allen Religionsgemeinschaften machen, in der der interreligiöse Diskurs eine neue Beschleunigung erfährt“. Ö1-Journalistin Renata Schmidtkunz – studierte evangelische Theologin – redete hingegen der akademischen Freiheit der Theologie das Wort: „Nichts ist weniger kirchlich als die Evangelisch-Theologische Fakultät, zumindest in meiner Zeit.“ Die römisch-katholische Theologin Regina Polak sah das große Plus der konfessionellen Theologie sogar darin, alles Irdische von Gott her relativieren zu können: „Das halte ich in einer Gesellschaft, die sehr identitätsanfällig ist, für eine große Stärke.“

Chalupka: „Je kleiner eine Kirche, desto wichtiger universitäre Anbindung“

Die konfessionelle Bindung der Theologie hält Bischof Chalupka nicht für problematisch, im Gegenteil: „Gerade, dass diese Bindung von Anfang an offengelegt und über diese Bindung reflektiert wird, würde ich mir auch für andere Wissenschaften wünschen.“ Je kleiner eine Kirche sei, desto wichtiger sei ihre Anbindung an universitäre Forschung und Lehre. Eine Fakultät, die sich rein auf die religionswissenschaftliche Erforschung von Glaubensinhalten konzentriere befürwortet er hingegen nicht: „Die Fakultät ist historisch so geworden, wie sie ist. Es wäre für die Kirche und die Gesellschaft nicht gut, wenn sie so entsorgt werden würde wie der Karfreitag.“

Blimlinger: „Brauchen Grundsatzdiskussion über Theologie“

„Wenn in einem Gesetz definiert wird, dass Angehörige einer Fakultät einer bestimmten Glaubensrichtung angehören, dann ist das eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit“, hielt dem die Grünen Nationalratsabgeordnete Eva Blimlinger entgegen. Es brauche eine Grundsatzdiskussion, wie man Theologie ohne Anbindung an eine Religion praktizieren könne: „Wenn es eine Fakultät aller anerkannten Religionsgemeinschaften in Österreich gäbe fände ich das wunderbar. Aber das ist so unrealistisch wie Weihnachten nie auf Ostern fallen wird.“

Faßmann: „Fakultätsgrenzen trennen“

Bildungsminister Heinz Faßmann begrüßte den funktionierenden Korporatismus von Staat und Kirchen in Österreich: „Wir bezahlen etwa Religionslehrer und überlassen dafür den Kirchen die Gestaltung von Religionsbüchern. Das hat sich bewährt, denn damit wird das Abdrängen von Kirche und Religion in die Hinterhöfe vermieden.“ Die gegenwärtige Situation an den Universitäten sieht er aber kritisch: „Jeder, der den Universitätsbetrieb kennt, weiß, dass Fakultätsgrenzen eher trennen als verbinden.“

Polak: Erfahrung in gelebter Glaubenspraxis ist vorauszusetzen

Theologie sei die wissenschaftliche Reflexion auf einen gelebten Glauben und eine gelebte Praxis. Deshalb sei es auch legitim vorauszusetzen, dass Lehrende der Theologie in dieser Lebenspraxis Erfahrung haben, betonte die römisch-katholische Theologin Regina Polak. Der Druck vonseiten der Kirchenleitung sei dabei an der der Katholisch-Theologischen Fakultät bestimmt höher als an der Evangelisch-Theologischen. Dennoch sei eine konfessionelle Theologie wichtig: „Über Religionen kann man in Religionswissenschaft auch lernen, aber im Zentrum der Theologie steht Gott.“

Schmidtkunz: „Niemand hat von uns erwartet, dass wir in die Kirche gehen“

„Was an unserer Fakultät sehr groß geschrieben wurde und wird ist die Liebe zur Ambiguität“, unterstrich die Journalistin und evangelische Theologin Renata Schmidtkunz. „Mir kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus anderen Disziplinen oft enger geführt vor.“ Sie hätte während ihres Studiums nie das Gefühl gehabt, religiöse Agitation zu erleben: „Niemand hat von uns erwartet, dass wir in die Kirche gehen, beten oder etwas glauben.“

Die Podiumsdiskussion war Teil der zentralen Festtage, mit denen die Evangelisch-theologische Fakultät der Universität Wien 2021 ihr 200-Jahr-Jubiläum feiert. Den Abschluss der Tagung mit Vorträgen und Diskussionsrunden bildete am Sonntag, 10. Oktober, ein Festgottesdienst in der Wiener Lutherischen Stadtkirche. www.etf200.univie.ac.at

ISSN 2222-2464

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