09.10.2022

Beten oder Leben retten – es geht beides!

Julia Schnizlein ärgert sich über eine an sich sehr gute Werbekampagne

„Vielen Menschen hilft es eben auch, wenn sie sich nicht alleine fühlen, während sie einen anderen reanimieren“, schreibt Julia Schnizlein. (Foto: Pixabay)

Julia Schnizlein ärgert sich über eine an sich sehr gute Werbekampagne

„Nein, bitte bitte, nein! Hilf mir, Gott…“
Hatten Sie schon mal Todesangst um einen anderen Menschen? Ich erinnere mich noch, als meine Tochter nach ihrem ersten Affektkrampf im Alter von 13 Monaten blau und ohne Bewusstsein in meinen Armen lag. Ich konnte die Situation überhaupt nicht einordnen, habe sie geschüttelt, sie angeschrien, ihren Puls gefühlt und ihren Atem erahnt. Und während mein Mann die Rettung verständigte, habe ich immer wieder zu Gott gerufen. Mal leise, mal laut. Ich hatte mich nicht bewusst dafür entschieden, zu beten. Das Gebet, das Flehen war einfach da. Es formte sich in meinem Kopf und ich spürte in dem Moment: Ich war nicht allein in meiner Hilflosigkeit. Mein Rufen ging nicht ins Leere.

Umso mehr ärgere ich mich gerade über die aktuelle Plakatkampagne von PULS – Verein zur Bekämpfung des plötzlichen Herztodes. An sich ist diese Kampagne eine sehr sehr gute Sache, weil sie ein Bewusstsein dafür schaffen will, dass jeder helfen kann und schon wenige Handgriffe Leben retten können. Aber um Aufmerksamkeit zu erregen, wurde hier so richtig schön tief in die Klischeeschublade gegriffen. Auf den Plakaten steht zum Beispiel: Fies sein oder Leben retten – im Bild ein Mittelfinger. Beten oder Leben retten – im Bild betende Hände.

Ich finde das so traurig provokant, weil es ein völlig falsches Bild religiöser Menschen zeichnet. Wohl kaum jemand würde sich erst mal seelenruhig hinsetzen und die Hände falten, bevor er einem anderen Menschen in Lebensgefahr hilft. Nächstenliebe zwingt uns immer, tätig zu werden und denen zu helfen, die unsere Hilfe brauchen. Aber vielen Menschen hilft es eben auch, wenn sie sich nicht alleine fühlen, während sie einen anderen reanimieren. Wenn sie den an ihrer Seite wissen, der Leben und Tod in den Händen hält.

Dieses Sujet einer an sich sehr guten Kampagne transportiert Stereotype und zeichnet ein unsinniges Bild von Religion. Es geht auf Kosten jener Menschen, die der Meinung sind, dass sie nicht alles selbst in der Hand halten und die im Beten erst die Kraft für ihr Tun finden. „Ora et labora“ – „bete UND arbeite“. Es ist kein Widerspruch, kein entweder oder, sondern immer ein sowohl als auch.

ISSN 2222-2464

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