29.08.2022

Ana Marwan: „Die geistige Komponente ist für den Menschen sehr wichtig“

Ingeborg-Bachmann Preisträgerin über Narzissmus, Klimaverantwortung und die virtuelle Welt

Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Ana Marwan im Gespräch mit Walter Pobaschnig. Foto: epd/Uschmann

Ingeborg-Bachmann Preisträgerin über Narzissmus, Klimaverantwortung und die virtuelle Welt


Wien (epdÖ) – Die aus Slowenien stammende und in Niederösterreich lebende Schriftstellerin Ana Marwan hat mit ihrem Prosatext „Wechselkröte“ in diesem Sommer den 46. Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. In den Räumlichkeiten der „SAAT“ und des Evangelischen Presseverbandes in der Ungargasse 9 in Wien-Landstraße, der auch der Hauptschauplatz des Romans „Malina“ (1971) von Ingeborg Bachmann ist, stand sie der Redaktion für ein Interview zur Verfügung.

Marwan hat in ihrem Bachmannpreistext sowie in ihrem Roman „Der Kreis des Weberknechts“ den Rückzug und die Einsamkeit in der Zeit der Pandemie beschrieben. „Mein Buchprojekt über die Einsamkeit begann vor der Pandemie. Ich suchte dafür den Rückzug, um das Thema bearbeiten zu können. Und als ich damit fertig war, kam die Pandemie“, erklärt Marwan. „Das Schwierige in der Pandemie im Zusammenhang mit der Einsamkeit war, dass es keine Wahl mehr gab. Ich habe versucht, die positiven Seiten zu sehen und hatte große Hoffnung, dass wir sehr viel daraus lernen können, etwa über alternative Lebensweisen, darüber, dass wir unterscheiden, was wir brauchen und nicht brauchen in unserem Konsum; auch bezüglich unserer Klimaverantwortung, dass uns bewusst wird: wir müssen nicht ständig herumreisen.“

Nach Ansicht Marwans seien Menschen oft individualistisch und narzisstisch. „Unsere virtuelle Welt fordert dies auch, sich immer wieder selbst zu präsentieren. Es geht dabei nicht um ein persönliches Kennenlernen, sondern um ein In-die-Irre-führen, einfach einander etwas vorzumachen. Wir gehen da in eine falsche Richtung“, sagt Marwan. Die „audio-visuellen Welt der Überreizung“ sei schließlich problematisch für unser Gedächtnis und unsere Erinnerung. „Wir leben jetzt schon oft im Moment, glaube ich – das soll man ja – aber vielleicht gerade zu sehr“, findet Marwan. Erinnerung, Zeit und Tod sind für Marwan wichtige Themen, die sich auch in ihren Werken wiederfinden. „Jede Sekunde nähern wir uns dem Tod“, betont die 42-jährige Schriftstellerin.

Als religiös betrachtet sich Marwan allerdings nicht, wenngleich sie sich auch über das Thema Leben nach dem Tod Gedanken macht. „Ich bin Agnostikerin und ich habe keine Ahnung, was nach dem Tod passiert. Es sind aber Szenarien, was sein könnte, die mich beschäftigen, und eine davon ist die Wiederkehr, die im Roman vorkommt – die ewige Wiederkehr des Gleichen“, so Marwan.

Zur Bachmannpreisträgerin 2022: Ana Marwan wurde 1980 in Murska Sobota im ehemaligen Jugoslawien, heute im Nordosten Sloweniens, geboren. 2019 erschien im Salzburger Otto Müller Verlag ihr Debütroman „Der Kreis des Weberknechts“. Mit ihrem Prosatext „Wechselkröte“ erhielt Marwan den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis. Der seit 1977 jährlich verliehene Preis gilt als eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschen Sprachraum. Das Interview, das der Wiener Religionspädagoge Walter Pobaschnig führte, findet sich im Wortlaut in der Oktober-Ausgabe der SAAT.

ISSN 2222-2464

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